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Drei Forschende der Uni Magdeburg stehen vor einem großen Bildschirm und entwickeln Computersimulationen zur Behandlung Aneurysmen (c) Jana Dünnhaupt Uni Magdeburg
03.05.2024 aus 
Forschung + Transfer
Am Computer Aneurysmen behandeln

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß …“ , sagt der lebenserfahrene Volksmund. „Richtig“, bestätigt Prof. Dr. Daniel Behme, Chefarzt der Neuroradiologie am Magdeburger Universitätsklinikum. Er beschäftigt sich beruflich mit sogenannten „Zufallsbefunden“, die einen aus der Lebensbahn werfen können – etwa, wenn ein Aneurysma im Gehirn festgestellt wird. „Die meisten Menschen merken davon zunächst nichts“, sagt er. Erst wenn aus irgendwelchen anderen Gründen eine Magnetresonanztomographie (MRT) oder eine Computertomographie (CT) vom Kopf gemacht wird, entdecken Ärzte zufällig die krankhafte Ausbuchtung eines Hirngefäßes.

Portrait von Prof. Behme bei einer In-vitro Messung eines Flow-Diverter-Stents am STIMULATE-C-Bogen-CT (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgIn-vitro Messung eines Flow-Diverter-Stents am STIMULATE-C-Bogen-CT. Prof. Dr. med. Daniel Behme, Chefarzt der Neuroradiologie am Magdeburger Universitätsklinikum, leitet das klinische Teilarbeitspaket im SOFINA-Projekt. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Im Zusammenhang mit einem Aneurysma signalisiert das Wort „Schlaganfall“ eine Gefahr. Mit jedem Schlag des Herzens wird Blut durch die Ader und somit auch in die Ausbuchtung gepumpt. Wenn das Gefäß reißt, kann das eine lebensbedrohliche Blutung auslösen oder zu neurologischen Ausfällen wie Lähmungen, Sprachstörungen oder vermindertes Bewusstsein führen. Daniel Behme kennt sich aus auf diesem Gebiet. Er ist Professor für Interventionelle und Präventive Neuroradiologie in der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin in Magdeburg. 2020 war der Facharzt für Neuroradiologie von der Universität Göttingen hierher gewechselt. Aus seiner Sicht bietet Magdeburg jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern optimale Karrieremöglichkeiten, etwa am Forschungscampus STIMULATE. Das ist ein Kooperationsverbund zwischen der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, der Siemens Healthineers AG, dem STIMULATE-Verein und vielen Partnern aus der Medizin, aus den Ingenieurwissenschaften und aus der Wirtschaft.

STIMULATE ist ein Magnet im Wissenschaftshafen von Magdeburg. Der Forschungscampus entwickelt Soft- und Hardware für bildgestützte minimalinvasive Therapien zur Behandlung von Krebs und von vaskulären Erkrankungen – und bietet auch Prof. Dr.-Ing. Sylvia Saalfeld beste Rahmenbedingungen für ihre Forschungen. Die seit April 2023 an der TU Ilmenau tätige Wissenschaftlerin hat an der Otto-von-Guericke-Universität Computervisualistik studiert und ihre Habilitation zur computergestützten Behandlung von intrakraniellen Aneurysmen geschrieben. Bei STIMULATE bekam sie die Chance, eine Forschungsgruppe zu leiten, die sich mit der medizinischen Bildbearbeitung und Visualisierung beschäftigt.

Portrait Prof. Saalfeld (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgProf. Dr. Sylvia Saalfeld verantwortet die KI-basierten Ansätze im Forschungsvorhaben. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Die Behandlung von Aneurysmen

Womit die gedankliche Brücke wieder zu den „Zufallsbildern“ von Hirnaneurysmen führt. „Wenn man dann weiß, dass man ein Hirnaneurysma hat, macht es die meisten Menschen doch heiß“, sagt Daniel Behme und, dass viele Patienten das Aneurysma nicht im Kopf behalten wollen, weil sie es als tickende Zeitbombe empfinden. Dieser Vergleich liegt auch nahe, wenn es um die Entfernung des Aneurysmas geht. Denn wie Bombenentschärfer muss sich auch das Team der Operateure ganz behutsam der Gefäßausbuchtung inmitten von Gehirnmasse nähern. „Nach der klassischen OP-Methode wird der Schädel geöffnet und das Gehirngewebe zur Seite geschoben, um das Aneurysma mittels einer Klammer abzuklemmen“, sagt der Kliniker und, dass dieses Verfahren zunehmend durch minimalinvasive Eingriffe ersetzt wird. Aber auch die moderneren sogenannten endovaskulären Interventionen müssten immer weiter optimiert werden, um sicherer und patientenschonender zu behandeln und die Kostenexplosion im Gesundheitswesen einzudämmen. Der 2013 gegründete Forschungscampus STIMULATE, als einer der Zukunftsorte von Sachsen-Anhalt ausgezeichnet, ist da mittlerweile ein international beachteter Wegweiser.

Sylvia Saalfeld und ihr Team bringen ihre Kompetenzen ein beim Bau dieses Weges in die Zukunft der Medizin. Denn die Auswertung der Bilder, die im MRT und CT gemacht werden, spielt eine immer bedeutendere Rolle. „Wir erforschen zum Beispiel, wie aus diesen medizinischen Daten 3D-Modelle der Gefäßerkrankung extrahiert und simuliert werden, um daran die erfolgreichste Behandlungsmethode vorherzusagen“, erklärt die Computervisualistin. Denn so individuell wie jeder einzelne Mensch ist, so unterschiedlich sind auch Verlauf und Beschaffenheit seiner Gefäße. „Zudem wissen wir, dass ein Aneurysma nicht die Erkrankung selbst ist, sondern ein Symptom für ein krankes, zum Teil dünnwandiges Blutgefäß, das man besser nicht anrühren sollte“, ergänzt Daniel Behme und erklärt eine darauf abzielende Behandlungsmethode: „Ein sogenannter Flow Diverter – das ist ein sehr feinmaschiger spiralförmiger Stent – wird im Gefäß unterhalb des Aneurysmas platziert. Das Blut fließ am Aneurysma vorbei, aber kaum noch in die Ausbuchtung hinein. Das darin noch enthaltene Blut thrombosiert mit der Zeit.“

Zur Visualisierung der Originalgröße eines Flow-Diverter-Stents: Person hält einen Flow-Diverter-Stent zwischen Daumen und Zeigefinder in der Hand (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgOriginalgröße eines Flow-Diverter-Stents, welcher zur minimalinvasiven endovaskulären Behandlung von intrakraniellen Aneurysmen eingesetzt wird. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

So ganz ohne Risiko ist auch diese Intervention nicht, die Gefahr der Ruptur der kranken Gefäßwand besteht immer. Daniel Behme zeigt den Führungsdraht – nicht stärker als ein Pferdehaar. Auf seiner Spitze transportiert er den Stent. Der Draht wird in die Vene am Oberschenkel eingeführt und bis in das Gehirn vorgeschoben. Das „Elterngefäß“, so nennen die Fachleute das Trägergefäß des Aneurysmas, ist zumeist eine gekrümmt verlaufende Ader. Den Stent zielgenau darin zu platzieren, ist für den Neuroradiologen eine knifflige Angelegenheit.

Das behandelnde Team und dessen Forschungstätigkeiten soll in Zukunft von SOFINA unterstützt werden. Hinter dem Akronym steckt „Simulationsgestützte Optimierung von Flow Divertern zur Behandlung intrakranieller Aneurysmen“. Das Bundesforschungsministerium fördert dieses interdisziplinäre Projekt für einen Zeitraum von drei Jahren mit 1,3 Millionen Euro. Am Ende sollen eine neue Generation von Flow Divertern dabei herauskommen und eine Therapieplanungssoftware zur Optimierung der Intervention. Ein weiteres Ziel ist die Verkürzung der Okklusionszeit; also der Zeit, bis sich das Gefäß durch eine Thrombusbildung verschließt.

Portrait Prof. Janiga (c) Hannah Theile Uni Magdeburg Portrait Prof. Juhre (c) Hannah Theile Uni Magdeburg

Foto links: Prof. Dr.-Ing. Gábor Janiga verantwortet die Arbeitsgruppe der numerischen Blutflusssimulation. / Foto rechts: Die virtuelle Stent-Platzierung wird durch die Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing. Daniel Juhre realisiert. (Fotos: Hannah Theile / Uni Magdeburg)

Initiator des Projektes ist das STIMULATE-Vereinsmitglied Acandis GmbH. Das Unternehmen aus Pforzheim stellt genormte neurovaskuläre Stents her, die es im Sinne der personalisierten Medizin weiter verbessern möchte. Der Erfolg einer Intervention hängt beispielsweise auch mit dem Material der Stents zusammen. Für deren nächste Generation möchte der Hersteller Vliesvarianten erproben, die das Komplikationsrisiko verringern.

Die STIMULATE-Forschungsgruppen „Bildverarbeitung“ von Sylvia Saalfeld und „Medizinische Flüsse“ von Philipp Berg erstellen auf der Basis der medizinischen Daten die 3D-Phantome, anhand derer außerhalb des menschlichen Körpers der Blutfluss simuliert und vorhergesagt werden kann. Es sei Erfolg versprechender, den Verlauf einer Intervention im Vorfeld zu simulieren und zu trainieren, sagt Sylvia Saalfeld. Während der Intervention könne der Neuroradiologe nicht mehr so sehr viel beeinflussen. Sie zeigt solch ein Phantom, das Modell der Erkrankung. In einem Kunststoffblock befinden sich ein exakt nachgebildetes Aneurysma und dessen Trägergefäß, in dem der Stent probeweise platziert werden kann. „Die Simulation der virtuellen Stent-Platzierung und des Blutflusses übernehmen das Institut für Mechanik unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Daniel Juhre und die Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing. Gábor Janiga am Lehrstuhl für Strömungsmechanik und Strömungstechnik.“

Aneurysmaphantommodelle aus Silikon zur risikofreien Testung neuartiger Behandlungsansätze und Validierung der Blutflusssimulationen (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgAneurysmaphantommodelle aus Silikon zur risikofreien Testung neuartiger Behandlungsansätze und Validierung der Blutflusssimulationen. Links: 3D gedrucktes Positivmodell mit Wandstärke, rechts: Negativmodell in einem Silikonblock (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Für den Erfolg des Projektes sei die Zusammenarbeit mit Medizinern unabdingbar, sagen die beiden STIMULATE-Gruppenleiter Sylvia Saalfeld und Philipp Berg. Sie betonen, dass die Medizintechnik an ihrem Forschungscampus einen hohen Bezug zur Praxis hat. Selbstredend sei da auch die Klinik für Neuroradiologie der Universitätsmedizin Magdeburg ein Mitglied im SOFINA-Bündnis.

STIMULATE ist die Schnittstelle zwischen Industrie und klinischer Praxis. Damit die Entwicklung innovativer Medizinprodukte nicht am Bedarf vorbeigeht, hat der Forschungscampus mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums eine Industrie-in-Klinik-Plattform aufgebaut und als Start-up ausgegründet „mediMESH – clinical insights“ geht in die Kliniken und erstellt eine umfangreiche Datenbank medizinischer Workflows. Es baut Analysetools zur Identifikation von Nutzerbedürfnissen und -anforderungen sowie zu nutzungsbedingten Risiken. Und es sammelt von Medizinexperten digitale Feedbacks auf die neu entwickelten Produkte und Prototypen.

„Unser SOFINA-Projekt ist eines der ersten großen Einsatzgebiete für das junge Unternehmen“, sagt Philipp Berg, der am Forschungscampus die Stabsstelle „Nachwuchsförderung und Karriere“ leitet. Er begrüßt mediMESH als ein weiteres der jungen Unternehmen, die STIMULATE als Zentrum für Innovation und Entwicklung so attraktiv machen.

Portrait Dr. Berg (c) Jana Dünnhaupt Uni Magdeburg PD Dr.-Ing. Philipp Berg leitet die Arbeitsgruppe „Medical Flows“ am Forschungscampus STIMULATE und koordiniert die beteiligten Forschungsteams im SOFINA-Projekt. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
 

Guericke facts

Autor:in: Kathrain Graubaum
Quelle: GUERICKE ´23