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Studierende gehen über den Campus der Uni Magdeburg (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
20.05.2022 aus 
Campus + Stadt
Ein Schritt in Richtung Zukunft

Universitäten brauchen Freiheit und Unabhängigkeit von staatlichen Eingriffen. Wichtige Entscheidungen zu Forschung und Lehre werden darum in den zentralen und dezentralen Gremien der Universität Magdeburg beschlossen, Professorinnen und Professoren engagieren sich in Dekanaten, Prorektoraten, in Fakultätsräten oder Gerätekommissionen. Den Kompass dieser Selbstverwaltung bildet die gemeinsam verfasste Grundordnung. Durch die Novellierung des Hochschulgesetzes musste diese nun angepasst werden. Kein leichter Prozess, viele Diskussionen und stundenlanger Austausch unterschiedlichster Standpunkte liegen hinter dem Senat. Was sich nun geändert hat und warum das für die Zukunft der Uni so wichtig ist, darüber hat Universitätssprecherin Katharina Vorwerk mit dem Rektor, Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan, gesprochen.

Was regelt eigentlich eine Grundordnung?

Die Grundordnung leitet sich zunächst aus dem Hochschulgesetz ab und regelt sehr konkret Vorgaben, die im Gesetz nur allgemein beschrieben oder benannt werden. Mit der Novellierung des Hochschulgesetzes im Jahr 2020 gab es daher echten Handlungsdruck. Darüber hinaus ist es notwendig, regelmäßig darüber nachzudenken, ob wir gut aufgestellt sind, um strategische Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Die Grundordnung ist also schon ein wichtiges Dokument. Sonst hätten wir auch nicht so intensiv und kontrovers darüber diskutiert. Ich denke, uns ist doch ein relativ großer Wurf gelungen, der uns gut durch die nächsten Jahre bringt, aber es wird sicher weitere Anpassungen geben.

Es wurde in die Präambel dezidiert das Prinzip der Chancengleichheit aufgenommen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, oder?

Ich glaube schon, dass in den Gremien und auch im universitären Alltag das Prinzip der Chancengleichheit verankert ist. Aber wir müssen auch klar sagen, dass wir in bestimmten Bereichen hinterherhinken, zum Beispiel bei Frauen in universitären Spitzenpositionen. Das ist auch unserem Profil geschuldet, aber auch im Vergleich mit ähnlich ausgerichteten Universitäten haben wir Nachholbedarf. Deshalb ist es schon wichtig, dieses Ziel explizit noch einmal deutlich zu benennen.

Die Grundordnung erlaubt nun, Seniorprofessorinnen und -professoren zu bestellen. Was bedeutet das?

Die OVGU hat ja bereits Möglichkeiten, eigenen Kolleginnen und Kollegen nach dem offiziellen Dienstende die Fortführung ihrer wissenschaftlichen Arbeiten zu ermöglichen und sie nicht ab einem bestimmten Stichtag durch die Pensionierung für Forschungsprojekte zu verlieren. Wir schaffen mit diesem neuen Titel aber erstmals die Möglichkeit, auch Externe einzubinden, also Leuten mit hervorragenden Leistungen in Forschung und Lehre aus anderen Einrichtungen eine akademische Heimat zu geben. Auch das ist nachhaltiges Agieren.

Was wurde bezüglich gemeinsamer Promotionen mit den Hochschulen geregelt?

Es gibt jetzt die Möglichkeit, dass Professorinnen und Professoren anderer Hochschulen kooptiert werden, also zeitweise „Mitglieder“ einer Fakultät werden, verbunden mit dem Recht, ihre Promotionsvorhaben einzubringen. Bisher wurde in den kooperativen Promotionen im Einzelfall über das Verfahren entschieden. Bei der Kooption geht man einen Schritt weiter und sagt: Wir öffnen uns den Hochschulen und laden sie ein, auf dem Niveau, was wir für uns als Leitlinie definiert haben, mitzuarbeiten. So können auch einrichtungsübergreifend starke Verbünde entstehen und forschungsseitig thematische Erweiterungen. So hätte eine Kollegin, die an der Hochschule Harz als Betriebswirtin im Tourismus-Management lehrt und forscht doch durchaus Anknüpfungspunkte an eine Fakultät für Wirtschaftswissenschaft.

Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgIm Interview erklärt der Rektor, Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan, was sich an der Grundordnung geändert hat (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Das Hochschulgesetz erlaubt es uns, in Zentren Ressourcen zu bündeln. Gibt es da Veränderungen?

Neu ist, dass wir jetzt hochschulübergreifende Strukturen schaffen können. Das ist gut, weil wir damit die Möglichkeit haben, zum Beispiel auch in Themen und Programmen, in denen wir jetzt im Rahmen des Strukturwandels nicht unmittelbar Mittelempfänger werden können, Beteiligungen zu organisieren, beim Thema Wasserstoff, beispielsweise, in einem gemeinsamen Zentrum mit der Hochschule Merseburg. Auch bei den Rechenzentren wird es innerhalb der Hochschulen des Landes zu gemeinsamen Strukturen bzw. Aufgabenteilungen kommen. Gerade haben wir mit CAME und CHaMP zwei neue Forschungszentren an der Uni eingerichtet.

Die neue Grundordnung fordert, dass in Gremien und in Wahlprozessen eine paritätische Besetzung angestrebt werden soll. Können wir das leisten?

Wir haben diese Parität nicht, dafür gibt es in einigen Bereichen schlichtweg zu wenig Frauen. Somit ist diese Formulierung eine eindeutige und wichtige Zielstellung.

Auch über die Wahl des Rektorats wurde im Senat lange diskutiert. Mit welchem Ergebnis?

Die Grundordnung erlaubt es uns nun, grundsätzlich auch Personen, die von außen kommen zum Rektor oder zur Rektorin zu wählen, im Wissen um die damit verbundenen dienstrechtlichen Herausforderungen. Wie bisher richtet der Senat künftig eine mindestens 11-köpfige Findungskommission ein, die ihm berichtet. Diese besteht aber jetzt nicht mehr automatisch aus den „ältesten“ Senatoren und muss darüber hinaus künftig paritätisch besetzt sein. Wir haben so gute Senatorinnen; es wird überhaupt kein Problem sein, diese Herausforderung anzunehmen. Und noch etwas: Seit längerer Zeit wird innerhalb der Uni diskutiert, dass es doch gut wäre, wenn der Senat die Rektorin oder den Rektor, mit der/ dem er dann ja eng zusammenarbeitet, auch selbst wählen könnte und auch den Prozess der Findung begleiten würde. Das setzt aber voraus, dass die Amtszeiten des Senats und der Universitätsleitung versetzt sind. Wir sind aber im Augenblick synchron, die neuen Übergänge müssen wir also intelligent gestalten.

Im Paragraf 2, Absatz 4 wird gefordert, dass Forschung ausschließlich friedlichen Zielen folgen und die Uni einen Beitrag für eine nachhaltige Welt leisten soll. Ist das die von Teilen der Studierendenschaft verlangte Zivilklausel? 

Dies ist sicherlich eher eine implizite Formulierung. Ich bin kein Freund von Symbolpolitik und die Grundordnung ist weitgehend frei von derartigen Formulierungen, aber ich halte den Text dennoch für einen sehr guten Kompromiss zwischen der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit und dem Schaffen von Leitplanken in einer Selbstverpflichtung. Wir lehnen uns mit dieser Formulierung an andere große Universitäten an.

Außerdem hat die OVGU die KEF, die Kommission für ethische Grundsätze der Forschung, eingerichtet und insgesamt genügend Instrumente, um innerhalb der Uni in Einzelfällen zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen.

Muss ich als Universitätsangehöriger die Grundordnung kennen?

Ich glaube nicht, dass man sie sich unters Kopfkissen legen und jeden Morgen vor Dienstantritt noch mal durchblättern müsste. Aber man sollte doch wenigstens einmal hin­eingeschaut haben. Es geht um vernünftige Zielstellungen für die Zukunft. Ich finde schon, dass man Dinge auch einfordern kann, wenn sie in der Grundordnung stehen. Wie zum Beispiel, dass es bei uns keine Benachteiligung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Sprache, Heimat, Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Geschlecht, Alter, sexueller Identität oder Behinderung geben sollte. Das kann ich symbolisch natürlich fordern. In der operativen Umsetzung mit 3.700 internationalen Studierenden und Wissenschaftlern aus aller Welt mit ganz unterschiedlichen Kulturkreisen ist das eine Frage, die jeden Tag beantwortet werden muss und uns alle vor Herausforderungen stellt.

Ist die angepasste Grundordnung auch ein Stück Leitmotiv „Zusammen die Welt neu denken“?

Ja, denn wir haben zusammen neu gedacht, nicht die Welt, aber die OVGU. Die ganze Diskussion war geprägt von dem Gedanken, dass wir gemeinsam etwas Neues schaffen. Deshalb ist es natürlich am Ende auch ein Kompromisspapier. Denn, es gibt ja – wie beim Grundgesetz – keine Grundordnung nur für diese oder jene Gruppe. Es gilt für uns alle. Nicht zuletzt wollen wir so unser Motto „Zusammen die Welt neu denken“ in diesem Jahr und auch mit Blick auf unser Jubiläumsjahr 2023 weitertragen.

Autor:in: Katharina Vorwerk
Quelle: uni:report Wintersemester 2021/22