
Klimawandel, Kriege, Rohstoffknappheit, Unsicherheit politischer Entscheidungen, Handelsspannungen – Die Liste globaler Herausforderungen, vor denen die Menschheit derzeit steht, ist lang. Sie alle hinterlassen Spuren in Industrie, Wirtschaft und auch der Forschung. „Forschung und die Entwicklung innovativer neuer Produktionsprozesse wird stark durch die Krisen getrieben“, sagt Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget vom Institut für Verfahrenstechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. „Nicht nur Ressourcen-Knappheit, sondern auch Anforderungen die durch den Klimawandel bedingt sind, stellen große Herausforderungen für viele Industriebranchen dar. Was kann die Industrie tun, um noch stärker auf die Klimaziele einzuzahlen? Wie kann die Forschung dabei unterstützen? Ein Anstoß für uns, in neue Richtungen zu denken, Techniken und Prozesse genauer zu betrachten, die den Energiewandel ernsthaft vorantreiben können.“
Dr.-Ing.Nicole Vorhauer-Huget (Foto: Jana Dünnhaupt/ Uni Magdeburg)
Die Aufmerksamkeit von Dr.-Ing. Vorhauer-Huget und ihrer Forschungsgruppe richtet sich darauf,
- energieintensive Produktionsprozesse effizienter und umweltfreundlicher zu gestalten,
- den enormen Verbrauch fossiler Brennstoffe sowie
- den damit verbundenen CO2-Ausstoß signifikant zu reduzieren.
„Im Fokus steht Energieeinsparung und wie zunehmend fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen sind. Dafür nehmen wir Prozesse unter die Lupe und suchen nach Möglichkeiten, sie zu intensivieren, also mehr Produkte mit weniger Energieeinsatz pro Zeiteinheit herzustellen.“
Gemeinsam mit Dr. Jan Barowski von der Ruhr-Universität Bochum und Prof. Dr.-Ing. Alba Diéguez Alonso von der TU Dortmund wollen sie als umweltschonende Alternative Mikrowellen für energieintensive Stoffumwandlungsprozesse nutzen. Mikrowellen kennen wir aus der heimischen Küche und wissen, dass die Erwärmung damit viel schneller geht als mit konventionellen Methoden. Mit Mikrowellen wird auch in industriellen Prozessen die für die Stoffumwandlung notwendige Wärmeenergie direkt im Produkt als sogenannte volumetrische Erwärmung erzeugt. Das geht viel schneller als indirekte Erwärmung, z.B. mit heißem Gas, und spart daher Zeit und somit vor allem Energie. Zudem können die in einem komplexen Prozess gegenseitig überlagerten und sich beeinflussenden Abläufe besser kontrolliert werden, da der Energieeintrag besser gesteuert werden kann. Und die CO2-Bilanz der dafür benötigten Wärmeenergie geht gegen Null, wenn aus Wind, Wasser oder Sonne erzeugter Strom bei der Mikrowellenerwärmung zum Einsatz kommt.
Das Projekt zur Mikrowellentechnologie ist ein Teilvorhaben des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits in der zweiten Förderperiode mit knapp 12 Millionen Euro unterstützten Sonderforschungsbereichs / Transregio 287 „BULK REACTION“. In ihm arbeiten rund 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Bereiche der Unis Magdeburg, Bochum, Kiel und Dortmund. In diesem Verbund untersuchen Dr. Vorhauer-Huget und Kollegen, wie die Mikrowellenerwärmung für Prozesse bis 1.000 ° C Energie-effizient anwendbar und steuerbar gemacht werden kann. Ausgangspunkt der Forschung war einst die Frage nach alternativen Verfahren für die Trocknung thermisch dicker Materialien, z.B. von Ziegeln, welche durch die Industrie angeregt worden war. Gegenwärtig wird in einem Kooperationsprojekt zur industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) mit der Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar an dieser Fragestellung ebenfalls weiter geforscht. Doch auch in anderen Industriebereichen ist das Interesse groß: „In der Lebensmittelindustrie ist die Mikrowellentechnologie bereits stark etabliert, zum Beispiel als Mikrowellengefriertrocknung. Wir kooperieren momentan mit der TU München um ein besseres Prozessverständnis auf Basis fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu generieren“, erläutert Dr. Nicole Vorhauer-Huget. „Ansonsten findet sie auch Anwendung z.B. bei der Holztrocknung, der Herstellung von Schäumen, Gussformen oder Katalysatoren.“ Dabei gehe es nicht nur um die Elektrifizierung selbst, sondern auch um die Realisierung bzw. bessere Steuerung von Prozessen. Mikrowellengefriertrocknung findet beispielsweise im Vakuum statt. Da könne man nicht einfach mit heißer Luft erwärmen, „mithilfe von Mikrowellen jedoch Wärme viel homogener und energieeffizienter in das Produkt eintragen, wenn der Prozess sinnvoll kontrolliert wird“. Das Know-how hierfür wird in der Forschungsgruppe der Ingenieurin derzeit auf Basis neuer Computermodelle weiterentwickelt. Und auch für geometrisch aufwändige Produkte mit Verfalzungen, wie beispielsweise bei diversen Keramikprodukten oder Gussformen, eignen sich Mikrowellen besser, um die Wärme für ein gleichmäßiges Trocknen der Produkte einzubringen. Fazit: Die Anwendungsbereiche sind so vielfältig wie die damit verbundenen Prozessanforderungen und wissenschaftlichen Fragestellungen. Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten in solchen Prozessen Temperaturen oder Stoffumwandlungen zu messen, ist daher die Entwicklung modellgestützter Methoden von großer Bedeutung.
Die Verfahrenstechnikerinnen Dr. Nicole Vorhauer-Huget (li.) von der Uni Magdeburg und Prof. Dr.-Ing. Alba Dieguez Alonso von der TU Dortmund bei Versuchsvorbereitungen am Mikrowellenreaktor. (Foto: Jana Dünnhaupt Uni Magdeburg)
Um solche Modelle zuverlässig mit echten Daten zu füttern, müssen die Eigenschaften der verwendeten Materialien in Abhängigkeit der Prozessbedingungen bestimmt werden. Sie sind häufig abhängig von der Zusammensetzung und der Temperatur, welche sich beide während des Prozesses dramatisch ändern können. Nur wenn das gelingt, können mit Computermodellen
- Reaktionswege,
- sich dynamisch ändernde Produkteigenschaften und
- die Rolle des Energieeintrags
untersucht werden.
Welche Prozessbedingungen sind notwendig, damit die gewünschten Reaktionen möglichst effizient ablaufen? Wie interagieren Mikrowellen mit den Materialien, die sich bei hohen Temperaturen durch chemische Reaktionen oder durch Trocknung, Bewegung, Schrumpfung und Ähnliches im Prozess ständig ändern? Das sei noch nicht verstanden, vor allem weil es experimentell nicht messbar ist, sagt die Wissenschaftlerin. Darum entwickeln die Forscherinnen und Forscher zusätzlich zu experimentellen Methoden Computermodelle.
In eigens dafür angefertigten Reaktoren untersucht das Magdeburger Team mit Kooperationspartnern unter kontrollierten Laborbedingungen chemische Prozesse. Ein Beispiel: Die Pyrolyse von Biomasse zur Herstellung von Pyrolyseölen, -gasen und kohlenstoffbasierten Feststoffen. In diesem komplexen Prozess ist die Umwandlung von Wärme und Stoff besonders stark miteinander verflochten. Eine echte Herausforderung für die Modellentwicklung, Parametrierung und Validierung. Deshalb ist die Kooperation innerhalb des Sonderforschungsbereichs „BULK REACTION“ so extrem wichtig, weil hierfür viele verschiedene Expertisen zusammenkommen müssen. Auf Basis der Zusammenarbeit der verschiedenen Fachbereiche, u.a. Verfahrenstechnik, Physik, Informatik, wird es zukünftig möglich sein, bisher nicht messbare, sehr dynamische Prozessabläufe auf verschiedensten Größenskalen aufzulösen und vorherzusagen. „Es könnten also künftig auf Grundlage unserer Forschung bald bessere Verfahren zur Gewinnung nachhaltiger Produkte bereitstehen. Wir wissen, wie Prozesse funktionieren. Darum können wir sie auch transformieren und verbessern.“
Die Wissenschaftlerin sieht darin „ein großes Potenzial” auch projektübergreifend, z.B. zum Forschungscluster SmartProSys.
„Die Arbeit von Verfahrenstechnikerinnen und -technikern ist oft nicht so greifbar wie beispielsweise die der Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer oder Informatikerinnen und Informatiker, da sie sich industriellen Stoff- und Energieumwandlungsprozessen widmen, die im Inneren von Apparaten stattfinden und in der Regel nicht sichtbar sind“, sagt sie. „Aber, es wird unsere Aufgabe sein, die industriellen Prozesse in den nächsten 20 Jahren so zu verändern, dass die deutsche Industrie spätestens im Jahr 2050 CO2-neutral produzieren kann.“ Ein Anliegen sei ihr darum, den Nachwuchs in der Verfahrenstechnik zu fördern, der kontinuierlich vorantreiben müsse, wofür jetzt die Grundlagen gelegt werden.