Stimmen der Stadt auf der Bühne
Am 12. Juni 2025 ist Premiere für ein gemeinsames Projekt der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und dem Schauspielhaus der Landeshauptstadt. Unter dem Titel „Dies, das, Ananas“ werden von fünf Mitgliedern des Schauspielensembles Texte präsentiert, die aus über 60 biographischen und Straßeninterviews von Studierenden mit Magdeburgerinnen und Magdeburgern entstanden sind – auf Plätzen, in Cafés, an Bushaltestellen.
Neun Studierende aus den Masterstudiengängen Mediengermanistik und Lehramt fragten Menschen aller Altersgruppen, was sie bewegt, was ihnen wichtig ist im Leben, in der Stadt, im Alltag. Welche Sicht haben Magdeburger Bürgerinnen und Bürger abseits von Schlagzeilen, Talkshows, Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken, wo die erregte Debatte um die immer selben Themen kreist: Migration, Energiewende oder Gendern? Wie gestalten sich ihre Diskurse, denen üblicherweise nicht die große mediale Bühne gilt, was treibt die Menschen um, denen es an Plattformen, Sprachrohren und Aufmerksamkeit mangelt? Welche Erinnerungen haben sie an ihre Kindheit in Magdeburg, was wünschen sie sich für die Zukunft der Stadt? „Uns war wichtig, herauszufinden, was unter der Oberfläche medial geprägter Ereignisse steckt“, beschreibt Max Harbich, Student im 4. Mastersemester, die Gespräche. „Die Menschen haben viel zu erzählen – oft aus sehr persönlichen Perspektiven, mit einem lokal geprägten Blick und viel komplexer, als es die großen Schlagzeilen vermuten lassen“, so Harbich.
Aus den Antworten der Bürgerinnen und Bürger – immerhin 535 Seiten Transkript mit unzähligen Geschichten – haben die Studierenden, angeleitet von Katrin Enders, Dramaturgin am Theater Magdeburg, Texte montiert, die nun von Teilen des Schauspielensembles im Kasino des Schauspielhauses zu Gehör gebracht werden.
Der Linguist Prof. Dr. Kersten Sven Roth, Inhaber des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik und Leiter der „Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung“ an der Universität Magdeburg, hat das Kooperationsprojekt vor anderthalb Jahren zusammen mit Bastian Lomsché, Mitglied der Schauspielleitung am Theater Magdeburg, auf den Weg gebracht. Zusammen mit seiner Kollegin Kathrin Hamann war er für dessen wissenschaftliche Seite zuständig: „Der Text, den die Zuschauenden im Theater erleben werden, ist eine Collage, Sprache und Diskurs, radikal verdichtet für die Bühne. Die Grundlage aber ist ein veritables Korpus zum Diskurs unserer Stadt, den wir in den folgenden Monaten sicher auch auf die eine oder andere Weise wissenschaftlich auswerten werden. Ganz nebenbei zeigt das Projekt, wie fruchtbar Kunst und angewandte Wissenschaft zusammenwirken können, wenn es darum geht, einer Stadt, die einiges zu verarbeiten hatte in den letzten Jahrzehnten, Jahren und Monaten, eine Stimme zu verleihen.“
Mitglieder der Projektgruppe: Linn-Kristin Adler, Kathrin Hamann, Samantha Schmalenbach-Arroyo, Prof. Dr. Kersten Roth, Lea Wesemann, Katrin Enders, Anna Miehe, René Schneider, Max Harbich (v. li. n. re.)
Foto: Linn-Kristin Adler Universität Magdeburg
Katrin Enders, auf Seiten des Theaters zuständig für das Projekt, sagt: „Auch für mich war es ein spannender Prozess zu erleben, wie in Zusammenarbeit mit den Studierenden sowohl kleine Monologe entstanden sind, als auch Textcollagen, die wir „Stimmengewitter“ genannt haben.“
Das Ensemble liest den aus Interview-Auszügen verdichteten und neu zusammengesetzten Text, gerahmt von einer Gesprächsrunde mit den Studierenden und einem offenen Austausch mit dem Publikum.
Für Prof. Dr. Kersten Sven Roth zeigen die Transkripte der Interviews, die die Studierenden geführt haben, ganz unabhängig von der eigenen Projektidee noch etwas anderes: „Das Material offenbart, wie großartig Menschen ihr Leben oft in Sprache zu fassen verstehen – dabei sind wunderbare Miniaturen entstanden, die schon fast literarischen Wert haben.“
Bei dem gemeinsamen Projekt sollen universitäre Forschung und studentische Lehre auf besondere Weise mit Kunst, Kultur und der Stadtgesellschaft vernetzt werden. Ein besonderer Fokus liegt auch auf der Verbindung von Praxis und universitärer Lehre. „Wir haben alles selbst entwickelt – von den Fragen über die Auswertung bis zu den Texten, die im Theater gezeigt werden. Das war eine großartige Erfahrung abseits von Vorlesungen und normalen Seminaren, die uns Uni und Linguistik mal auf ganz andere Weise erleben lassen hat“, so Max Harbich.
„Dies, das, Ananas. Diskursräume: Stimmen aus Magdeburg" wird am 12. Juni 2025 im Schauspielhaus Magdeburg, Otto-von-Guericke-Straße 64, zu erleben sein. Beginn ist 19:30 Uhr.
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