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Portrait Prof. Wolter
28.02.2019 aus 
Forschung + Transfer
Warum das Toast an sonnigen Tagen stärker röstet

Ob die Solaranlage auf dem Dach oder das Windrad in der Nähe wer eine eigene Energiequelle besitzt, konnte sich 2018 über die Ausbeute nicht beschweren. Unser heimisches Wetter bietet ausreichend Sonne und Wind. „Was auch zur Folge hat, dass viel Ökostrom ins elektrische Netz eingespeist wird und zwar unkontrolliert", sagt Professor Martin Wolter.

Im Unterschied zum Otto-Normal-Bürger kann sich der Leiter des Lehrstuhls „Elektrische Netze und Erneuerbare Energie“ an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erklären, warum er an sonnenreichen Tagen seinen Toaster eine Stufe niedriger stellen muss. „Die zugrundeliegende Spannungsschwankung ist aber nur eine von vielen Herausforderungen, die die zunehmende Volatilität mit sich bringt. Engpässe und Spannungsüberhöhungen strapazieren die Netzbetriebsmittel und Kundenanlagen und müssen daher vom Netzbetreiber sicher beherrscht werden“, sagt Martin Wolter und macht auf die derzeitige Situation aufmerksam: „Nur die Höchstspannungsnetze, die den Strom über weite Entfernungen transportieren, sind vollständig beobachtet. Die Verteilnetze der Mittel- und Niederspannung, die den Strom zum Endkunden bringen, werden in der Regel im ,Blindflug‘ betrieben.“ Soll heißen: Der Zustand der Verteilnetze ist nicht beobachtbar, weil hier keine Messgeräte eingebaut wurden. Somit ist eine Gefährdung nicht sofort sichtbar und kann auch nicht online behoben werden. „Das war auch nicht nötig zu Zeiten, als der Strom hauptsächlich aus den thermischen Großkraftwerken kam, und der Ökostrom keine nennenswerte Größe darstellte“, sagt Martin Wolter.

Ralf Berger und Martin Wolter (re.) begutachten einen Netzkuppeltransformator in Wolmirstedt. (c) Harald Krieg / Uni Magdeburg

Ralf Berger und Martin Wolter (re.) begutachten einen Netzkuppeltransformator in Wolmirstedt. (Foto: Harald Krieg / Uni Magdeburg)

Mit der rot-grünen Bundesregierung wurde das ab 1998 anders. Sie trieb die Erzeugung von Ökostrom voran. Vor allem in Nord- und Mitteldeutschland wuchs die Zahl der Windparks und Photovoltaikanlagen. „Im Norden ist aber nur begrenzt Platz, und im Osten noch viel freie Fläche“, sagt Wolter. 2002 begann er, an der Leibniz Universität Hannover Elektrotechnik zu studieren. Als sich die meisten seines Studienjahrgangs wahlweise für die damals revolutionären Entwicklungen in der Nachrichtentechnik interessierten, fand er die „Elektrische Energietechnik“ besonders spannend. „Wohl auch, weil mein Professor so begeisterungsfähig war“, sagt Martin Wolter und nennt den Namen Bernd Oswald. Der war dann auch sein Doktorvater.

Das Thema der Arbeit „Zustandsidentifikation des Verteilnetzes“ ist heute wie vor zehn Jahren aktuell. Damit die Netze nicht verstopfen, müssen deren Betreiber immer häufiger in die Stromerzeugung eingreifen und insbesondere Windenergieanlagen abschalten. Das widerspricht den Zielen der Energiewende, nach denen sich der Anteil von erneuerbaren Energien erhöhen soll. „In Sachsen-Anhalt beispielsweise könnten bereits 70 Prozent der Netzlast aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Deren Erzeuger haben bei Abschalten ihrer Anlage Anspruch auf Entschädigung für die entgangenen Einnahmen“, sagt Martin Wolter und dass diese Millionenbeträge von den Endkunden bezahlt werden. Auch der dringend erforderliche Netzausbau würde den Endkunden finanziell belasten, sei aber langfristig günstiger.

Das Wissen um die Energiemärkte und deren Regulierung speziell in den neuen Bundesländern bringt Martin Wolter von seiner beruflichen Station als Leiter der Konzeptentwicklung bei der 50Hertz Transmission Berlin mit. 50Hertz sorgt für den Betrieb, die Instandhaltung, die Planung und den Ausbau des 380/220-Kilovolt-Netzes im Norden und Osten Deutschlands. Warum er nicht bei diesem Unternehmen geblieben ist? Vielleicht, weil die Vorbildwirkung des Professors aus Studienzeiten bis ins Heute reicht. „Forschung in Kombination mit der Lehre ist genau das, was ich machen will“, sagt der 36-Jährige. Er musste nicht lange überlegen, als an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg die Professur für „Elektrische Netze und Anlagen“ ausgeschrieben war.

Vor ihm und seinen Studierenden aus den Fachrichtungen Elektrotechnik und Informationstechnik, Wirtschaftsingenieurwesen für Elektrotechnik und Informationstechnik, Erneuerbare Energien und Nachhaltige Energiesysteme tut sich ein riesiges Forschungsfeld auf. Denn im Gegensatz zu den IT-Technologien hat sich das elektrische Netz betreffend noch keine bahnbrechende Innovation durchgesetzt. Einerseits kann es das Überangebot an Strom nicht fassen, andererseits gibt es noch immer keine optimale Speichermöglichkeit.

Doch jetzt haben Wissenschaftler der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg die geniale Idee von einem „Intelligenten Multi-Energie-System“ sowohl aus technischer als auch ökonomischer Sicht. Kurz SmartMES heißt das interdisziplinäre, von der Europäischen Union geförderte Forschungsprojekt. Martin Wolter konnte seine Professorenkollegen Frank Beyrau, Leiter des Instituts für Strömungstechnik und Thermodynamik, und Evangelos Tsotsas, Leiter des Instituts für Verfahrenstechnik, dafür begeistern, gemeinsam den längst fälligen Wandel in der elektrischen Energieversorgung einzuleiten.

„Sektorenkopplung“ soll die Lösung sein

Dem Laien scheint zunächst unklar, inwieweit Gasleitungen oder Fernwärme eine Stromleitung entlasten können. „Power-to-Gas“ und „Power-to-Heat“ sind die wegweisenden Begriffe. Neue Technologien machen es möglich, dass überschüssige elektrische Energie in gasförmigen oder flüssigen Kraftstoff umgewandelt werden kann. Martin Wolter erklärt vereinfacht ausgedrückt: „Wenn durch Wind oder lange Sonnenscheinphasen viel Ökostrom erzeugt wird, könnte der vor Ort zum Beispiel mit Hilfe einer bidirektional betreibbaren Brennstoffzelle, die ebenfalls Forschungsgegenstand ist, in Wasserstoff oder Methan umgewandelt und etwa in das Gasnetz eingespeist werden.“ An dieser Stelle, so der Professor, werde das Vorhaben natürlich komplexer. Schließlich müssten auch beim Betrieb von Gasnetzen strikte Vorgaben eingehalten werden. „Prinzipiell“, sagt er, „versuchen wir, ein Problem, das im Stromnetz nur kostspielig behoben werden kann, zumindest teilweise in ein anderes System zu verlagern. Damit wird das Problem auf mehrere Schultern verteilt und lässt sich wesentlich günstiger lösen, ohne Ökostrom ‚wegzuschmeißen‘.“

Wie aber ist die Netzsituation vorherzusagen? Welche Energiemengen können die einzelnen Netze aufnehmen? Welche der Möglichkeiten zur Kopplung der unterschiedlichen Netze ist in welcher Situation die optimale? Und wo überhaupt ist solch eine Kopplung sinnvoll? Fragen über Fragen, die SmartMES beantworten soll. Klug, intelligent, schlau, findig, clever ... bis all die Bedeutungen für „smart“ auf das Multi-Energie-System zutreffen, müssen die Projektpartner einige Arbeit leisten. Jetzt, nach dem ersten von drei Jahren Forschung und Entwicklung, gibt es erste Kopplungsmodelle. Die Daten dafür stellen regionale Projektpartner wie der Burger Windparkbetreiber ABO Wind AG, das Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF Magdeburg und die Stadtwerke Burg Energienetze mbH zur Verfügung.

Nicola Gast bedient eine Netzleitwarte zur Steuerung des elektrischen Energieversorgungssystems. (c) Harald Krieg / Uni Magdeburg

Nicola Gast bedient eine Netzleitwarte zur Steuerung des elektrischen Energieversorgungssystems. (Foto: Harald Krieg / Uni Magdeburg)

„Wir entwickeln anhand dieser Daten optimale Planungs- und Betriebskonzepte für alle möglichen Szenarien, die im Zusammenhang mit der Stromerzeugung auftreten können“, sagt Projektleiter Martin Wolter und dass sich diese Szenarien an natürlichen Ereignissen orientieren wie etwa an Stürmen, Sonnenfinsternissen, Sonnen- und Windflauten, Mastbrüchen, Netzausfällen, ... Berücksichtigt würden zudem auch gesellschaftspolitische Entwicklungen wie der Ausstieg aus der Braunkohle.

SmartMES ist ein virtuelles System. Das Konsortium mit seinen breit gefächerten fachlichen Kompetenzen entwickelt die Soft- und Hardware für eine Art digitale Leitzentrale. Die kann sich der Netzbetreiber installieren und nach deren Handlungsempfehlungen eine Sektoren-Kopplung so managen, dass sich für ihn das Verhältnis von Kosten-Nutzen-Risiken am profitabelsten gestaltet. Fünf wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören zum Kernteam des Projektes und schreiben über SmartMES-Themen ihre Doktorarbeit. „Durch Messeauftritte, Publikationen und Vorträge hat das Projekt schon eine große Aufmerksamkeit“, sagt Martin Wolter. Gerade bereitet er im Auftrag des Technologieverbandes VDE eine Konferenz vor, die sich dem Thema Sektoren-kopplung widmet.

Für die nächste Projektphase sucht das Bündnis nach einem optimalen Installationsstandort zur Demonstration der Sektorenkopplung. Ideal wäre etwa ein Krankenhaus, wo tatsächlich die verschiedenen Energienetze zusammentreffen, meint Martin Wolter und betont: „Ist SmartMES erst einmal intelligent, wird es die geeigneten Kopplungsstandorte selbstständig suchen und dem Netzbetreiber vorschlagen.“

Martin Wolter über seine Arbeit als Wissenschaftler

„Die Forschung in der elektrischen Energietechnik ist durch die Energiewende spannender denn je. Das Schöne an dem Beruf ist, dass man neben dem rein technischen Methodenwissen auch weit über den Tellerrand hinaus schauen muss, um die immer wichtiger werdenden ökonomischen und rechtlichen Fragestellungen berücksichtigen zu können. Zusammen mit den richtigen Industriepartnern kann man heute enorme Dinge in Bewegung setzen und einen aktiven Beitrag zum Gelingen der Energiewende liefern. „Egal, wo man hinschaut, es gibt Probleme zu lösen und Optimierungspotenziale zu heben.“