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Portrait Dr. Magdowski
08.07.2020 aus 
Studium + Lehre
Ist die Lehre durch die Pandemie digitaler?

Das erste Mal in der Geschichte unserer Uni sind wir ohne Präsenzveranstaltungen und mit leerem Campus in das Sommersemester 2020 gestartet. Um die Corona-Pandemie zu bewältigen gilt vor allem eins: Kontakte meiden. Die Lehre geht allerdings weiter. Digital. Die Umstellung war eine Herausforderung für alle Angehörigen der OVGU.

Wie uns der Umstieg gelungen ist, welche Ressourcen es braucht und vor allem welche Formate sich bewähren und auch nach der Pandemie in der Lehre eingesetzt werden können, darüber haben wir mit Dr. Mathias Magdowski von der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik und Koordinator der AG E-Learning gesprochen und mit ihm ein Zwischenfazit gezogen: Wie gut hat das digitale Sommersemester bisher funktioniert und gibt es noch Verbesserungspotenzial?

Heute zu Gast

Wie gut die digitale Lehre umgesetzt wurde und welche Formate dafür genutzt werden, das erzählt uns Mathias Magdowski. Er lehrt an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik und engagiert sich als Koordinator der AG E-Learning für digitale Lehre an der Uni Magdeburg.

Der Podcast zum Nachlesen

Introstimme: In die Uni reingehört. Der Podcast zur Arbeitswelt an der OVGU.

Katharina Vorwerk: Und ich sage herzlich willkommen zur Folge 7 unseres Podcasts. Heute wird es ein weiteres Mal um ein Corona-Thema gehen, nämlich um die Herausforderungen, Chancen und vielleicht auch Grenzen der digitalen Lehre. Mein Name ist Katharina Vorwerk, ich arbeite in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Uni und ich habe mich dazu mit jemandem verabredet, der sich als Leiter der AG E-Learning ziemlich gut damit auskennt, studentische Lehre aus den Hörsälen und den Seminarräumen des Unicampus ins Netz zu bringen. Herzlich Willkommen Dr. Mathias Magdowksi.

Dr. Mathias Magdowski: Hallo!

Vorwerk: Das erste Mal nun seit der Gründung startet die, oder seit ihrer Gründung, startete die Uni völlig ohne Studierende auf dem Campus in ein Semester. Von jetzt auf gleich musste auf digitale Lehre umgestellt werden. Laufen denn nun, nach einigen Wochen, alle Vorlesungen und Seminare online? Und gedeiht das Pflänzchen „digitale Lehre“?

Dr. Magdowski: Aus meiner Sicht würde ich sagen: ganz gut. Also unsere Uni hat ja auch ein Leitbild für die Lehre, wenn man da mal nachliest, findet man so einen Punkt, der heißt: „Wir entwickeln unsere Lehre ständig weiter und richten sie an die sich wandelnden regionalen und globalen Bedingungen und Anforderungen aus.“

Vorwerk: Das klingt gut.

Dr. Magdowski: Und ich finde, das ist eigentlich ganz gut gelungen. Und, um mal vielleicht so ein Beispiel zu nennen, die Uni hat ja ein eigenes Videoportal, diese Mediasite. Da werden jetzt aktuell so 60, 70 Videos pro Tag hochgeladen und das waren früher, in vergangenen Semestern mal sowas wie fünf pro Woche. Und das zeigt eigentlich schon ganz gut, dass so die digitale Lehre ganz gut angekommen ist.

Vorwerk: Hat an Fahrt aufgenommen, ja. Aber wie war denn der Start in den Fakultäten? War das eher holprig oder hatten wir auch einige, die in der Poleposition standen? Vor welchen Herausforderungen standen denn alle, von einem Tag auf den anderen?

Dr. Magdowski: Ich kann mich noch ganz gut erinnern. Ich war in der semesterfreien Zeit für eine Gastvorlesung in Russland, in Kasan, das war so Ende Februar, Anfang März und da gab es in Deutschland dann so die ersten Corona-Fälle, in ganz Russland gab´s zu der Zeit – glaub ich – vier, zwei davon halt auch in Kasan. Und dann hab ich bei den Telefonaten mit meiner Familie noch gescherzt, dass ja Sachsen-Anhalt sozusagen das „Last-Land-Standing“ ist, in dem es ja noch keinen einzigen Corona-Fall gab und man hat auch halt bei der Reise am Flughafen nicht so wahnsinnig viel davon gemerkt. Und dann hab ich halt schon so langsam darüber nachgedacht: „Hm okay, na ja – wie würde das jetzt aussehen? Was würde wohl passieren, wenn das Semester jetzt zumindest irgendwie am Anfang erstmal online stattfinden würde?“, und hab dann so für unsere und die von mir betreuten Lehrveranstaltungen gedacht: „Ja, so schlecht wird das schon nicht werden. Ich hab schon ein paar Videos, wir haben so Audience-Response-Quizze, wir haben ein System mit personalisierten Aufgaben, wo die Studierenden sich gegenseitig begutachten. Das wird ganz gut laufen.“ Und dann kann ich mich daran erinnern, als ich dann wieder in Deutschland war, dann hatten wir eben eine Sitzung unserer AG E-Learning und da kam dann das Thema so langsam auf, weil eben die ganzen US-amerikanischen Universitäten dann schon im Prinzip entschieden oder festgelegt hatten, dass das Semester für sie ein Online-Semester werden würde und dann entwickelte sich das halt bei uns auch rasant weiter und es ist natürlich sehr heterogen. Also Freiheit von Forschung und Lehre heißt: Jeder kann das so ein bisschen machen, wie er möchte und so zwischen Schockstarre und sehr viel Euphorie war da, glaube ich, alles dabei und viele werden auch erstmal ein bisschen die Zeit abgewartet haben, bis dann das Semester oder die Lehrveranstaltungszeit sozusagen wirklich losgehen sollte. Aber im Großen und Ganzen hat das, glaube ich, bei allen ganz gut funktioniert.

Vorwerk: Na ja, es konnte sich ja auch keiner rausnehmen. Es konnte keiner sagen: „Ich mach nicht mit!“ Aber können Sie uns Beispiele nennen, wo dieser abrupte Wechsel von analoger zu digitaler Lehre besonders gut geklappt hat? Gab es, um mal im Formel-1-Bild zu bleiben, digitale Hamiltons und Vettels unter uns?

Dr. Magdowski: Es gibt zwei, denke ich, ganz gute Beispiele. Das sind beides Ringvorlesungen: Einmal die, wo es um nachhaltige Energiesysteme geht oder um Herausforderungen und Entwicklungen von Nachhaltigkeitsstrategien im Ingenieurbereich von Christian Künzel und von Franziska Scheffler. Und es gibt eine zweite tolle Ringvorlesung „Autonomie im digitalen Zeitalter“ von Dan Verständig und was da zum Beispiel schönes passiert ist: Da ist eben ein Podcast auch im Rahmen dieser Vorlesung produziert worden, einfach um sich so ein weiteres Format zu überlegen, mit dem man halt Lernende abholen kann und mit dem man vielleicht auch Externe miteinbinden kann und dass man sich eben auch so en passant, vielleicht mal nebenbei, bisschen mit anhören kann, auch als ein kurzes niederschwelliges Einstiegsformat, um dann irgendwie so eine Motivation, einen Impuls und so einen Anreiz zu haben, sich vielleicht mal noch tiefergehend mit der Materie zu beschäftigen. Und ansonsten ist natürlich so ein bisschen das Problem, dass man ja als Außenstehender gar nicht so viel von der Lehre sieht, weil dann doch eben vieles irgendwie im moodle versteckt wird. Videos werden mit Passwörtern geschützt und so, dass da ja keiner, der nicht jetzt irgendwie in diesen Kurs eingeschrieben ist, da reingucken kann. Das ist so ein bisschen schade. Also es finden halt wenig Sachen wirklich öffentlich statt, oder werden bei YouTube gestreamt oder so. Bis eben auf zum Beispiel diese beiden Ringvorlesungen.

Vorwerk: Kann man dann sagen, dass die beiden Beispiele, die sie da eben gebracht haben… wurde da alles richtig gemacht?

Dr. Magdowski: Ich würde sagen, ja! Und das liegt natürlich daran, dass die Leute, die das machen, da eine ganze Menge Erfahrung schon mitbringen. Die haben eben nicht auch erst jetzt angefangen, sich mit digitalen Formaten zu beschäftigen, sondern machen das auch schon ein paar Jahre, bringen da eben entsprechende Erfahrungen und eben auch Engagement mit.

Vorwerk: Erfahrung ist das Stichwort für meine nächste Frage. Vor Kurzem gab es ja erstmals die Woche der digitalen Lehre an der OVGU mit Weiterbildungsangeboten und einem regen Erfahrungsaustausch von und für Lehrende und Studierende. Auch Sie waren mit einem Webinar dabei. Braucht es mehr solcher Formate, mehr Gelegenheiten voneinander zu lernen, um die digitale Lehre an der Uni wirksam zu verbessern?

Dr. Magdowski: Ja! Definitiv! Also es braucht deutlich mehr solche Austauschformate. Es braucht, wie ich schon sagte, mehr Sichtbarmachung einfach von Lehre, dass eben Lehre nicht so versteckt wird und dass auch mehr Vernetzung stattfindet zwischen den Lehrenden, auch über Fakultätsgrenzen und Fachbereiche und so hinweg. Das passiert ja mit der AG E-Learning auch schon ganz gut, aber eben mit den engagierten Dozierenden. Und eine ganz spannende Idee wäre zum Beispiel auch mal, sich zu überlegen: Könnten wir nicht in folgenden Semestern, die hoffentlich auch wieder hauptsächlich in Präsenz stattfinden, trotzdem sagen, wir nehmen mal eine Woche des Semesters und versuchen da hauptsächlich Online-Lehrangebote stattfinden zu lassen, um uns einfach darin zu schulen: Was kann man in solchen Online-Angeboten machen? Wie sehen die aus? Wie funktionieren Online-Vorlesungen und wie funktionieren Online-Seminare? Um vielleicht auch nochmal den Wert der Präsenzveranstaltung ein bisschen mehr, sozusagen, für uns alle herauszuarbeiten und herauszufinden.

Und ich hab noch einen ganz anderen spannenden Denkanstoß von Axel Krommer gelesen. Der hat halt gesagt, also auf Schulen bezogen, aber man kann das natürlich auch auf Hochschulen übertragen: „Wie wäre es wohl, wenn wir eigentlich schon immer alle online und von zuhause aus gelernt hätten mit Online-Vorlesungen, Online-Webinaren und Erklärvideos und so weiter und so fort und jetzt hätte eben ein großer Computervirus sozusagen unser Internet lahmgelegt und unser Lernmanagementsystem lahmgelegt und das Videokonferenzsystem und wir müssten uns jetzt alle irgendwie in Gebäuden, auf irgendeinem Campus zusammenfinden und wie würden wir dann wohl zusammen lehren und lernen und wie würde das dann aussehen?“ Und das ist glaube ich auch mal eine ganz spannende Frage, über die man nochmal ein bisschen nachdenken könnte.

Vorwerk: Ein interessantes Gedankenexperiment! Aber Sie selbst sind ja, also ich meine rein Erfahrungstechnisch, eher ein alter Hase, was die Digitalisierung Ihrer Lehre anbelangt, haben lange vor Corona Lehrinhalte ins Netz verlegt. Aber gab es auch für Sie Situationen, wo Sie an Ihre Grenzen gekommen sind?

Dr. Magdowski: Es hat auf jeden Fall natürlich geholfen in diesem Semester, dass ich und wir, dass wir halt auch nicht bei Null angefangen haben, dass es schon eine ganze Menge Videos gab, dass es eine ganze Menge Quizfragen zum Beispiel gab, die wir vorher so im Sinne von „Wer wird Ingenieur?“ unseren Studierenden in der Vorlesung gestellt haben und dann saßen eben alle da mit ihrem Handy und haben eben ABCD ausgewählt, wo sie dachten, das ist wohl die richtige Antwort auf diese Frage. Und diese Fragen zum Beispiel, die kann ich jetzt eben super nehmen, um die in das moodle reinzustellen und um sozusagen Quizze für die Selberlernphase und die Selbstlernkontrolle da zu ermöglichen. Selbst das kostet mich dann nicht unerheblich viel Zeit, diese Fragen jetzt mal aus dem einen System in das andere System zu überführen und da noch so ein bisschen auf die Details zu achten und ansonsten sind so die größten Herausforderungen für so normale Lehrende eigentlich immer urheberrechtliche Fragestellungen, also wie darf man welche Bilder wo verwenden und so weiter und so fort und auch ansonsten so Rechtsfragestellungen: Wie sieht das halt mit Prüfungsrecht aus? Prüfungen in diesem Semester werden sowieso nochmal ein sehr spannendes Thema werden.

Vorwerk: Bisher sprachen wir ja immer nur über die Probleme und Herausforderungen, wie auch jetzt mit den rechtlichen Fragen, für die Lehrenden. Wie kommen denn eigentlich die Studierenden mit der digitalen Lehre klar? Agieren diejenigen, die an digitales Shoppen und Online-Partnersuche und Instastorys gewöhnten jungen Menschen, souverän und sind ganz entspannt und vorbereitet?

Dr. Magdowski: Ähm...

Vorwerk: Sie lachen!

Dr. Magdowski: Also ich glaube auch da sehr heterogen, ich glaube im Großen und Ganzen funktioniert das relativ gut. Nichtsdestotrotz so diese vermeintliche Generation der „Digital Natives“, von der vielleicht alle so ein bisschen denken und sprechen, ich glaube, dass die es nicht gibt. Also die Studierenden stehen teilweise genauso vor Herausforderungen, wie wir und kämpfen auch ab und zu mal mit der Technik, obwohl sie halt vermeintlich damit aufgewachsen sind. Und vielleicht kleine Beispiele, die das so ein bisschen illustrieren: Bei uns reichen die Studierenden eben Lösungen ein und dann geht das manchmal nicht und dann kommen irgendwelche Fehlermeldungen und dann sag ich halt: „Ja, wie lautet denn die Fehlermeldung? Schicken Sie mal ein Bildschirmfoto!“ Und dann machen die Studierenden tatsächlich ein Foto von ihren Bildschirm mit ihrem Handy und schicken mir dann dieses Foto, anstatt sozusagen, einfach so wie man ein Bildschirmfoto macht und das zu schicken. Oder wenn sie die Aufgaben einreichen, dann dürfen sie typischerweise nur eine Datei einreichen. Jetzt kommt es aber manchmal vor, dass man eben zwei Blätter braucht oder drei, um die Lösungen hinzuschreiben und das heißt, man hat halt 3 Fotos, darf aber nur eine Datei hochladen und dann erreichen mich immer E-Mails: „Ja, wie kriege ich denn das jetzt hin? Ich hab jetzt hier drei Dateien, wie kann ich da eine draus machen?“ Ja, naja – man fügt halt die Fotos aneinander oder man fügt die Fotos in ein Word-Dokument ein und macht dann daraus wieder eine PDF, das, irgendwie sowas in der Art. Und das sind halt so Beispiele für die technischen Probleme, mit denen die Studierenden, glaube ich, auch manchmal kämpfen.

Vorwerk: Nun haben wir ja nicht nur Studierende, die zurzeit in der Börde, in Niedersachsen oder an der Nordsee unsere Online-Lehre nutzen. Gibt es denn Erfahrungen oder haben Sie eine Art Feedback, ob unsere internationalen Studierenden, also die wahlweise gerade in Indien oder China vor den Computern sitzen, unsere Online-Angebote erreichen?

Dr. Magdowski: Ich habe selber in diesem Semester ein Seminar mit unseren internationalen Masterstudierenden. Da geht es halt auch um so Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens und Schreibens und da hab ich eben so zum Onboarding in den Kurs oder zum Socialising geschrieben, es sollen sich mal alle in dem moodle-Forum eben kurz vorstellen: Wer sie sind, wo sie herkommen, was sie so ein bisschen inhaltlich vielleicht von diesen Kurs erwarten und was sie mitnehmen würden und sie sollen mal bitte ein Foto schicken, von ihrer aktuellen Homeoffice-Arbeitsumgebung oder von ihrem Arbeitsplatz und wenn ihnen das zu persönlich ist, dann können sie auch ein Foto schicken von dem Blick aus dem Fenster oder vom Balkon oder so und dann haben eben tatsächlich dreißig Studierende sich kurz vorgestellt und Fotos von ihrem Arbeitsplatz und ihrer Arbeitsumgebung eingereicht, was eben sehr sehr interessant war und glaube ich auch den Studierenden eben sehr schön gezeigt hat: „Ich bin eben einer von vielen anderen in diesem Kurs.“ Und trotzdem hat man die anderen darüber natürlich so ein bisschen kennengelernt und ist nicht so total anonym in einer grauen Masse von Studierenden untergegangen. Und da hat man eben auch gesehen, dass da doch nicht unerheblich viele von den Studierenden tatsächlich noch in ihrem Heimatland sind und natürlich dann zum Beispiel eben auch eine Zeitverschiebung haben. Da ist dann immer wieder der Hinweis: Na ja, es ist besser dann eben asynchrone Lehrformate zur Verfügung zu stellen, also vorproduzierte Videos, die die Studierenden sich jederzeit überall angucken können, weil es eben total schwierig ist, wenn wir hier nachmittags, sag ich mal, um 17 Uhr irgendwie eine Online-Vorlesung oder um 15 Uhr eine Online-Vorlesung live anbieten, dann ist es in Indien eben schon irgendwie sehr spät abends und dann kann es da schwierig sein für die Leute daran teilzuhaben. Mal ganz abgesehen davon, dass die Internetverbindung vielleicht nicht so gut ist und dann kann man sich so ein vorproduziertes Video eben auch, keine Ahnung, zwei Stunden lang runterladen und dann trotzdem nur 10 Minuten lang schauen, ohne dass alle 10 Sekunden irgendwie der Ton und das Bild weg ist, was total nervig ist.

Vorwerk: Sie brachten eben das schöne Beispiel, wie sie versucht haben über große Distanzen hinweg auch, ja, so ein Zusammengehörigkeitsgefühl, so eine Gruppe zu schaffen. Das ist ja jetzt wahrscheinlich mit der Online-Lehre nicht so ganz einfach. Was glauben Sie denn welche Aspekte der Lehre gehen in Zoom-Konferenzen gegenüber dem klassischen Seminar in Gebäude 5 verloren? Oder geht da gar nichts verloren? Kommt was Neues hinzu?

Dr. Magdowski: Na, natürlich geht so ein bisschen der Smalltalk verloren, den man vielleicht mal vor der Lehrveranstaltung mit den Studierenden macht und es gehen natürlich so die ganz raschen Interaktionen und niederschwellige Kommunikation verloren. In meinen Übungen mache ich das immer sehr gerne, also eigentlich rechnen da immer Studierende an der Tafel vor oder stellen ihren Lösungsweg vor und ich gucke dann gar nicht zur Tafel, sondern höchstens nur so mit einem halben Auge und gucke eigentlich in den Raum zu den Studierenden und dann sieht man in ihren Gesichtern sofort, wenn irgendwie was unklar ist an der Tafel oder wenn sie irgendwas nicht verstanden haben und dann kann man halt sofort nachfragen und sagen: „Wo ist jetzt die Frage?“ Und das geht jetzt halt nicht. Also man kann eben dann ganz schwierig irgendwie dreißig Leuten gleichzeitig per Zoom ins Gesicht gucken und feststellen: „Oh, da ist jetzt grad irgendwie ein Missverständnis aufgekommen oder eine Unklarheit und der versuchen gleich auf die Schliche zu kommen.“

Vorwerk: Nun ist das Lehren vom heimischen Küchentisch ja in Teilen vielleicht auch ganz bequem, darum sei auch an dieser Stelle die Frage erlaubt: Haben auch Sie schon mal eine Online-Vorlesung in Jogginghose gehalten?

Dr. Magdowksi: Eine Online-Vorlesung nicht, aber ich habe das eine oder andere Erklärvideo, die ich tatsächlich meistens abends... Es gibt ja Leute, die immer vor Publikum aufzeichnen, weil sie dann einfach so präsenter sind. Das klappt bei mir nicht, ich nehme die immer lieber bei mir zuhause in Ruhe auf und dann habe ich tatsächlich schon mal abends in sehr bequemer Kleidung da gesessen und dann das eine oder andere Erklärvideo an meinem Laptop aufgezeichnet.

Vorwerk: Wenn man so richtig was falsch machen könnte in der Online-Lehre, was wäre denn, aus Ihrer Sicht, so ein Worst-Case-Szenario? Also was sollten Lehrende unbedingt vermeiden?

Dr. Magdowski: Also ich hab mal vor ein paar Jahren einen Online-Kurs konzipiert für eben diese Kooperation mit der russischen Uni, die wir da haben in Kasan und da ging es darum: Die Studierenden sollten was simulieren in einem Programm und dann haben wir auch dafür Erklärvideos produziert und wie man halt dieses Programm startet, wie man das Modell anlegt und so weiter und so fort und hatten dann ja so ein Tutorial, wie man das installiert und hatten auch einen Studenten in Deutschland, der sich das alles angeguckt hat und getestet hat und dann haben wir halt diese Inhalte nach Russland geschickt und das funktionierte nicht. Also die Studierenden konnten einfach dieses Programm nicht installieren, beziehungsweise konnten nicht damit simulieren und mit seltsamen Fehlermeldungen, die wir von hier aus überhaupt gar nicht nachvollziehen konnten und das hat wirklich ewig gedauert, also, keine Ahnung, mehrere Wochen sind ins Land gegangen, bis wir die Ursache gefunden haben und es lag schlussendlich daran, dass die russischen Studierenden – wie hätte man es anders erwarten können – natürlich kyrillische Buchstaben in ihren Windows-Anmeldenamen haben und das hat einfach dieses Programm konsequent zum Absturz gebracht. Das heißt, die konnten, also sobald die das Programm geöffnet haben, ist das halt immer abgeschmiert. Und die konnten keine einzige Simulation machen, nicht das einfachste Beispiel nachvollziehen und bis wir eben dann das Problem erstmal erkannt haben und mit dem Hersteller des Programms Rücksprache gehalten haben und irgendwie dieses Problem gelöst war, war die Zeit für diesen Kurs natürlich lange um und das war halt mal so ein totales Worst-Case-Szenario. Aber das ist so das Problem, dass viele solche Herausforderungen eben erst dann im Prozess entstehen und sichtbar werden.

Vorwerk: Also der Rat auch an Lehrende: Von alleine geht das nicht, vorbereiten und nicht erst 5 Minuten vor der Vorlesung anfangen.

Dr. Magdowski: Genau! Möglichst gut vorbereiten, sich möglichst irgendwie was überlegen, auch wie...

Vorwerk: Plan B!

Dr. Magdowski: Genau, wie Rudi Karrell gesagt hat: „Wenn man was aus dem Ärmel schütteln will, muss man vorher was in den Ärmel reingetan haben.“ Ruhig auch noch ne Backup-Lösung im Hintergrund haben und man stellt ja meinetwegen auch selber fest: Wenn man jetzt das fünfte Mal Zoom nutzt, findet man immer noch irgendwie einen Knopf, der einem noch ein bisschen mehr Funktionalität bietet und da kann man die Farbe einstellen und da kann man Sachen wieder schnell löschen und speichern und so und das ist... wenn ich mir meine ersten Erklärvideos angucke, denke ich manchmal auch: „Ok, das hättest du jetzt halt tatsächlich auch nochmal besser machen können!“ Aber egal!

Vorwerk: In der AG E-Learning, die Sie ja leiten, engagieren sich ja viele Uni-Angehörige, um die digitale Lehre auf dem Campus zu unterstützen und voranzubringen. Für welche konkreten Probleme bietet ihr denn Lösungen an oder anders gefragt: Mit welchen Fragen können sich Lehrende an die AG wenden?

Dr. Magdowksi: Also wir haben in der AG über die letzten Jahre so eine gewisse Sammlung an Tools und an Best-Practice-Beispielen erstellt, haben jetzt, im Zuge der Corona-Krise, das nochmal ein bisschen erweitert um ein Wiki, wo wir eben alle dran mitarbeiten können, was auch nochmal so eine Sammlung ist für synchrone Online-Sachen, für asynchrone Online-Sachen – wie man möglichst gut Erklärvideos aufzeichnet, auch Ideen schon für elektronische Prüfungen. Wir haben ein Ticketsystem eingerichtet mit zwei E-Mail-Adressen: und onlineteaching@ovgu.de, sozusagen für die deutschsprachigen und die englischsprachigen Mitarbeitenden, mit denen sie sich mit Fragen an uns wenden können und die dann eben auf Basis unserer Erfahrungen und dieses Wissens, was dort in den Wikis, in unserem, auch die AG E-Learning nutzt einen moodle-Kurs zur Koordinierung, was dort abgelegt ist und das funktioniert eigentlich ganz gut. Bei diesem Ticketsystem gab´s, also den größten Peak der Anfragen, so tatsächlich zwischen dem 1. April und dem Osterwochenende, wo so die heiße Phase war, wo jetzt klar war: Ok, jetzt müssen wir tatsächlich alles digitalisieren. Und so im Laufe der Zeit gab´s jetzt halt auch ein paar witzige oder absurde Anfragen. Also haben sich auch Studierende an diese E-Mail-Adresse gewandt und haben zum Beispiel gefragt, wo sie sich denn jetzt für gewisse Lehrveranstaltungen registieren können. Ein Student, auch ein Internationaler, hat mal geschrieben, also morgens um 8 Uhr hat er geschrieben, er habe jetzt eigentlich um 7 schon eine Online-Vorlesung gehabt, per Zoom, wo findet er denn jetzt den Zugangscode für dieses Meeting. Na ja gut, das wissen wir jetzt auch nicht, aber: Wend dich mal bitte an deine Lehrperson. Und ansonsten gab es natürlich sehr viele Fragen zu Zoom und wie geht das jetzt und wie kann man da jetzt irgendwie seine Studierenden einladen, sowas in der Art.

Vorwerk: Gibt’s eigentlich so ne Art Goldstandard für die digitale Lehre, also sowas wie eine allgemeingültige Empfehlung, einen Schlüssel, der für alle Türen passt?

Dr. Magdowski: Gibt’s mit Sicherheit nicht so richtig, weil das... sonst wäre die Welt zu einfach. Ich glaub, was immer hilft ist, die Studierenden möglichst gut mit einzubinden, sich von ihnen kontinuierlich Rückmeldung zu holen, den Studierenden kontinuierlich Rückmeldung zu geben. Die Studierenden natürlich möglichst viel selber machen lassen, selber ausprobieren lassen, also sozusagen aktives Lernen fördern und ansonsten, ich glaube so einen Spruch, der ganz gut passt, ist, dass gute Lehre immer dann passiert, wenn sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden mal aus ihrer Komfortzone rauskommen und auch immer mal ein paar neue Sachen probieren und sozusagen nicht sich so zurücklehnen. Sowohl online als eben auch in Präsenz.

Vorwerk: Auch wenn die Forderungen, die universitäre Lehre in Teilen stärker zu digitalisieren nicht neu ist, kann man doch in den letzten Wochen oder jetzt in unserer Zeit, den Eindruck gewinnen, dass die Corona-Krise einen entscheidenden Anstoß gab, nicht nur an der OVGU, sich mit digitaler Lehre zu beschäftigen; gab ja kein Zurück. Wie können wir nun aber diesen eingeschlagenen Weg weiter gehen? Wie können wir die gelernten Lektionen weiternutzen?

Dr. Magdowski: Also ich denke, was wir in Zukunft noch mehr brauchen, sind eben so engagierte Unterstützungsstrukturen, also Personen, die sich einfach auskennen mit Online-Lehre, an die man sich mal hinwenden kann und sagen kann: „Ich habe das und das vor, ich möchte dieses und jenes didaktische Ziel erreichen, wie kann ich das am besten mit der Methode oder mit diesen Online-Werkzeug machen?“ Genauso braucht´s, glaube ich, eine nachhaltige Strategie der Hochschulleitung zu sagen, wir setzen auch in Zukunft vermehrt auf Online-Lehre, also natürlich auch auf Präsenzlehre, aber Online-Lehre oder Blended-Learning. Das Beste versuchen aus beiden Welten zu machen, soll ein integraler Bestandteil unserer Lehre sein. Natürlich brauch Online-Lehre, wie Präsenzlehre auch, eine gute Bibliothek, eine gute Wissensdatenbank im Hintergrund, Online-Lehre natürlich auch eine leistungsfähige IT im Hintergrund und eben auch eine Rechtsstelle oder eine Rechtsberatung und auch das Wort Datenschutz, das ich bei diesem Podcast jetzt das erste Mal in den Mund nehme. Ja, auch da hätten Lehrende oft gern eine verlässliche und rasche Aussage, wie eben mit diesem oder anderen Sachverhalten umzugehen ist. Das sind so, glaube ich, Sachen, die dann Lehrende, die sich in Online-Formaten engagieren möchten, unterstützen können. Und ja, ansonsten möchte ich auch gar nicht alles digitalisieren, aber wenn wir Präsenzlehre machen, dann sollten wir die halt ein bisschen mehr wertschätzen und die für sinnvollere Formate, also für Interaktion mit den Studierenden für das Diskutieren und Lösen von komplexen Problemstellungen nutzen und eben nicht für die reine Wissensvermittlung, weil das kann man mittlerweile, denke ich, ganz gut rein online machen.

Vorwerk: Bevor unsere Gesprächsrunde nun zu Ende geht, kommen wir noch zu unserer beliebten Rubrik „Lange Rede, kurzer Sinn“. Ich gebe Ihnen mal drei Satzanfänge vor und ich bitte Sie, die spontan zu vervollständigen. Kann es losgehen? Wenn mir alle Ressourcen zur Verfügung stünden, dann wünschte ich mir für die digitale Lehre an der Uni Magdeburg...

Dr. Magdowksi: ...mehr Wertschätzung und tatsächlich sowas wie digitale Endgeräte für alle Studierenden, vor allem für die, die es sich nicht von zuhause aus leisten können.

Vorwerk: Die Corona-Krise hat die digitale Lehre auf dem Uni-Campus...

Dr. Magdowksi: ...unglaublich beschleunigt. Also wenn man mal in einem Radfahrerbild bleibt: Wir sind jetzt irgendwie die Rampe vom Mittellandkanal runtergerollt und haben richtig Fahrt aufgenommen und jetzt ist halt die Frage, ob wir auf einen schönen glattasphaltierten Weg rollen und sozusagen das Tempo halten können oder ob am Ende der Rampe eine Kopfsteinpflasterstraße wartet mit einer engen Kurve und wir dann mit dem Fahrrad am nächsten Baum landen.

Vorwerk: Sehr schönes Bild! Digitale Lehrformate, die nach der Krise beibehalten bleiben sollten, wären...

Dr. Magdowski: ...Erklärvideos, weil die Studierenden Zeit und Ort unabhängiges Lernen erlauben und man die sich eigentlich immer zu jeder Zeit angucken kann, in beliebigem Tempo zurückspulen kann, wenn man nicht was verstanden hat und natürlich besteht die Gefahr, dass einige sagen: „Ok, dann gucken sich halt die Studierenden die Videos alle erst zwei Tage vor der Prüfung an, in doppelter Geschwindigkeit.“ Aber die Gefahr gab es eigentlich mit Büchern und Skripten vorher auch schon.

Vorwerk: Das war´s auch schon für heute. Ich sage vielen Dank für das Gespräch und natürlich auch für Ihr großes Engagement, die digitale Lehre an der Uni voranzubringen. Auch Ihnen, an den mobilen Endgeräten oder wo auch immer Sie dabei waren, danke fürs Zuhören. Wenn Sie Vorschläge haben für Themen unserer Podcastreihe, Feedback geben möchten, kritisch oder positiv, dann schreiben Sie uns einfach eine E-Mail an . Und mit dieser Folge des internen Podcasts verabschieden wir uns jetzt bis zum Oktober in die Sommerpause. Im Juli gibt es aber dann dafür den nächsten Wissenschaftspodcast, in dem wir der Frage nachgehen, was Vanilledüfte und Kaufrausch miteinander verbindet. Bis dahin! Machen Sie es gut und bleiben Sie gesund.

 

Introstimme: In die Uni reingehört. Der Podcast zur Arbeitswelt an der OVGU.