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08.01.2021 aus 
Forschung + Transfer
Wie Corona unsere Sprache verändert

Lockdown light, Social Distancing oder Hybridsemester – alles Wörter, die wir erst seit kurzer Zeit in unserem Alltag verwenden. Wie schnell sich unsere Sprache verändern kann, wird durch die Corona-Pandemie besonders deutlich. Aber warum ist das so? Warum verändern gesellschaftliche Ereignisse die Art wie wir reden? Und wie können wir durch unsere Worte die Gesellschaft verändern?

Prof. Kersten Roth erforscht mit seinem Team an der Uni Magdeburg unsere Sprache – wie sie sich entwickelt und wie sie gezielt von Medien und der Politik eingesetzt wird. In der neuen Folge „Wissen, wann du willst“ spricht der Linguist über seine Forschung, wie Donald Trump die politische Kommunikation verändert hat und, was die kleinen Botschaften in den Kabinen öffentlicher Toiletten über unsere Verständigung aussagen.

Heute zu Gast

In unserer ersten Folgen des neuen Jahres ist Prof. Kersten Roth vom Lehrstuhl Germanistik der Uni Magdeburg, genauer gesagt der germanistischen Linguistik. Hier forscht und lehrt er rund um das Thema Lingustik, wie zum Beispiel zum Thema Gesprächskompetenz oder Rhetorik. Neben Germanistik kann an der Fakultät für Humanwissenschaften unter anderem auch Lehramt, European Studies, Cultural Engineering, Sozial- oder Sportwissenschaften sowie Peace and Conflict Studies und Philosophie-Neurowissenschaften-Kognition studiert werden.

Prof. Kersten Roth (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgProf. Kersten Roth (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Der Podcast zum Nachlesen

Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

 

Ina Götze: Es beginnt mit dem verschlafenem „Guten Morgen“, es geht weiter mit Meetings und Mails auf Arbeit, mit den unzähligen WhatsApp-Nachrichten, die wir täglich verschicken, und es endet abends mit dem Smal-Talk in der Bar – vielleicht im Moment weniger, aber dafür vielleicht mit den Nachrichten im Fernsehen. Es geht um Sprache, denn die begleitet uns den ganzen Tag. Unser heutiger Gast erforscht mit seinem Team die Wirkung von Sprache, also wie sie gezielt eingesetzt werden kann, wie sie uns beeinflusst und wie sich auch unsere Gesellschaft durch Sprache verändert. Professor Kersten Roth ist Professor für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Medienlinguistik und politische Kommunikation hier an der Uni Magdeburg und in welchem Format könnte man besser über das Thema Sprache reden, als in einem Podcast. In diesem Sinne, herzlich willkommen Professor Roth.

Prof. Dr. Kersten Roth: Hallo Frau Götze. 

Ina Götze: Damit wir eine bessere Vorstellung von Ihrer Arbeit haben: Was macht ein Professor für Germanistische Linguistik eigentlich den ganzen Tag?

Prof. Dr. Kersten Roth: Germanistische Linguistik heißt zunächst mal nichts anderes als die Wissenschaft von der deutschen Sprache. Und wenn man das den Leuten erzählt, dann denken sie oft daran, dass wir vermutlich den Duden schreiben oder ansonsten damit beschäftigt sind, Grammatikfehler in unserer Umwelt und bei unseren Mitmenschen zu ermitteln, quasi so als Schützer der deutschen Sprache. Das ist natürlich nicht das, was wir machen. Wir machen zunächst mal das, was alle Kolleginnen und Kollegen an der Uni hier tun, wir lehren und wir forschen. Gegenstand unserer Forschung sind natürlich auch Fragen, die die Lexikographie betreffen oder die Grammatik, also wo es um die Struktur der Sprache geht. Aber unser Schwerpunkt an der OVGU liegt eigentlich bei den Dingen, die Sie in Ihrer Anmoderation aufgezählt haben, also dem, was man tatsächlich im „real life“ – wie ich gerne sage – finden kann. Angewandte Linguistik heißt dieser Bereich und da kommt tatsächlich alles infrage, was an Sprache vorzufinden ist, das geht von elaborierten Sprachbereichen wie Wissenschaftssprache oder Rechtssprache los und geht aber hin tatsächlich bis zu den Kritzeleien auf Wänden in öffentlichen Toiletten. Wir haben Kollegen und Kolleginnen, die auch so was untersuchen. Da sind wir also völlig wahllos.

Das Besondere ist, in dieser Perspektive, die wir verfolgen, dass wir Sprache eigentlich weniger als ein Objekt betrachten, etwas, was da ist und fertig ist und wir uns nur anschauen müssen, sondern wir interessieren uns eigentlich mehr für Sprachhandeln, also gewissermaßen mehr für das Sprechen als für Sprache und betrachten dieses Sprechen eben als soziales Handeln und das ist das, was uns interessierte und was wir uns in der freien Wildbahn, wenn man so möchte, anschauen und versuchen zu verstehen, was da passiert. Also das, was man so etwas abschätzig Schreibtischlinguistik nennt, also, wo jemand tatsächlich an seinem Tisch sitzt und sich überlegt, wie es mit Sprache sein könnte, im Englischen noch etwas anschaulicher „armshare linguistiks“, das machen wir eher nicht, sondern es ist tatsächlich eine theoriegeleitete, aber strikt empirische Wissenschaft.

Ina Götze: „In der freien Wildbahn“ – würde mich jetzt tatsächlich interessieren, was man aus den Kritzeleien auf öffentlichen Toiletten herauslesen kann?

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, ist kein Forschungsgebiet von mir, aber es ist ein sehr interessanter Forschungsgegenstand, weil man da relativ schnell sehen kann, ich glaube das weiß jeder, der sich das schon mal sich angeschaut hat, dass da tatsächlich teilweise komplexe Interaktion stattfindet, also dass da jemand etwas an diese Wand schreibt und jemand anderes ergänzt das, antwortet, korrigiert, macht irgendwie was anderes draus. Und das sind natürlich schon sprachliche Prozesse, die uns dann auch interessieren.

Ina Götze: Jetzt ist es ja so, dass Gesellschaft und Sprache sich auch gegenseitig beeinflussen, also wenn sich etwas in unserer Gesellschaft verändert, verändert sich auch die Art und Weise, wie wir reden und umgekehrt beeinflusst Sprache natürlich auch die Art und Weise, wie wir Dinge oder auch Personen wahrnehmen. Beispiel: gendersensible Sprache. Können wir denn wirklich durch die Wahl unserer Worte ein Umdenken bewegen, also dass es mehr Chancengleichheit gibt?

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, das ist so ein bisschen die Frage nach Henne und Ei, also bestimmt die Wirklichkeit die Sprache oder die Sprache die Wirklichkeit. Wir haben grundsätzlich in der Linguistik, heute gehen wir von einer konstruktivistischen Grundidee aus, das heißt, wir gehen davon aus, es gibt eigentlich diese Wirklichkeit gar nicht, über die wir dann sprechen, sondern die wird zu ganz großen Teilen sprachlich konstruiert. Und wenn man von dieser Voraussetzung ausgehet, dann gibt es natürlich diesen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Realität und Sprache. Also ein ganz zentraler Begriff in der modernen Linguistik ist der Terminus „Wissen“ und die Einsicht, dass wir ganz viele Dinge, die wir wissen über die Welt tatsächlich nur sprachvermittelt wissen, also das Beispiel, das ich immer gerne gebe ist: Wir alle wissen, und zwar seit Kindheitstagen wissen wir das, dass sich die Erde um die Sonne dreht, obwohl das unser allen empirischen Beobachtung jeden Tag aufs Neue widerspricht, weil wir natürlich jeden Tag wieder sehen, dass sich natürlich die Sonne bewegt. Und trotzdem halten wir das für Wissen. Und wie ist dieses Wissen entstanden? Eigentlich nur dadurch, dass wir diesen Satz „Die Erde dreht sich um die Sonne“ als sprachliche Äußerung ganz oft gehört haben. Und, wenn das so ist, dann kann man relativ schnell erkennen, dass das natürlich einen Einfluss von Sprache darauf gibt, wie wir die Welt sehen.

Und, wenn ich zu Ihrer Genderfrage komme. Es ist psycho-linguistisch, steht es außer Frage, dass das sogenannte generische Maskulin keineswegs in dem Sinn neutral ist, dass wir, wenn wir eine maskuline Form hören gleichermaßen an Männer und Frauen denken. Ein Satz wie: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, den wir regelmäßig hören, ich glaube, da kann niemand leugnen, dass das Bild, das so in der allerersten Millisekunde so in uns aufblitzt ein Mann in weißem Mantel ist, auch wenn wir natürlich wissen, dass wir genauso gut unsere Ärztin fragen dürfen oder unsere Apothekerin, aber das heißt, da findet natürlich durchaus Ausblendung von Frauen zunächst einmal statt. Wir haben uns ja auch längst daran gewöhnt, dass hört man eigentlich kaum noch anders, wenn wir über Individuen sprechen nicht mehr auf die Maskulinform zurückzugreifen. Also niemand würde sagen, „Ich habe gerade erfahren mein Hausarzt ist schwanger“, sondern wir würden schon sagen, „Meine Hausärztin ist schwanger“. Da ist das eigentlich ganz unauffällig. Das war nicht immer so. Also es gibt diesen Zusammenhang zur Sichtbarkeit und das generische Maskulin ist nicht in diesem Sinne neutral. Aber ich würde dann gern was ergänzen: Die Verhältnisse sind nämlich noch ein bisschen komplizierter. Und auch das interessiert uns aus linguistischer Perspektive. Es ist nämlich keineswegs so, dass wir empirisch zeigen können, dass immer und überall die männliche Form gewählt wird. Im Frühjahr dieses Jahres war es eine Weile ein Thema, dass die Supermarktkassiererinnen gelobt wurden, weil sie weiter gearbeitet haben in der ersten Pandemiewelle. Und da war eben nicht von Supermarktkassierern die Rede, sondern da konnte man sehr systematisch etwas über Supermarktkassiererinnen lesen. Oder wir lesen immer wieder, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Problem für die Mütter ist. Und wir lesen viel seltener Formulierungen, aus denen hervorgeht, dass sie ja auch ein Problem für die Väter sein könnte oder für die Eltern oder die Paare ist. Das heißt, da geht es um Stereotype, und auch Stereotype sind sprachlich gebaut und auch damit würden wir uns beschäftigen. Also, zum Genderthema insgesamt, ja, wir können das so bestätigen, Sprache beeinflusst in diesem Sinne die gesellschaftliche Realität. Das ändert aber nichts daran, dass die Entscheidung wie man damit umgehen möchte, immer beim einzelnen Sprecher und bei der einzelnen Sprecherin liegt.

Ina Götze: Ein sehr schönes Beispiel, wo das generische Maskulin auch einen Stereotypen trifft, ist tatsächlich, wenn ich zu meinen Kolleginnen und Kollegen sage: „Ich gehe heute zum Friseur“. Dann alle, ach, was lässt sie denn oder, was lässt du denn von ihr machen? Und ich dann so: „Nein, das ist ein Friseur. Es ist tatsächlich ein Mann.“ Aber, obwohl das Wort Friseur männlich ist, denken alle, ich würde zu einer Frau gehen.

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja genau, das ist ein sehr gutes Beispiel. Da kann man zunächst mal sagen, ok, ich gehe zum Friseur, das wird mehr so interpretiert wie in das Friseurgeschäft sozusagen, zur Institution Friseur gewissermaßen. Und dann setzt das Stereotyp ein, naja, die Person, die da arbeitet ist bestimmt eine Frau, genau.

Ina Götze: Na mal gucken, wann sich das ändert. An der Wahl zum Jugendwort des Jahres erkennt man ja auch immer sehr schön, wie sich Sprache verändert. Für manche Erwachsenen nicht mehr ganz so nachvollziehbar. Warum ist es denn aber so, dass jede Generation eigene Wörter braucht?

 

Prof. Dr. Kersten Roth: Also zunächst einmal, diese Wahl zum Jugendwort selbst, das ist in erster Linie eine Verlagswerbeaktion. Da kommen dann häufig auch Dinge raus, wo auch junge Menschen sagen, das habe ich noch nie gehört, … (Lacht) … weil da häufig etwas gewählt wird, was möglichst originell ist, möglichst kreativ und Aufmerksamkeit erregt.

Ina Götze: Das beruhigt mich aber.

Prof. Dr. Kersten Roth: Aber Jugendsprache selbst ist natürlich ein interessantes Phänomen. Und sie zeigt zweierlei, glaube ich, was wichtig ist aus linguistischer Perspektive. Zum einen zeigt Jugendsprache die große Stärke und Besonderheit des Zeichensystems Sprache, menschliche Sprache im Vergleich zu anderen Zeichensystemen. Dieses Zeichensystem passt sich nämlich an. Es passt sich permanent an, an die Welt, in der es benutzt wird. Also, wenn wir an ein Zeichensystem wie, das System aus Verkehrszeichen etwa denken, das passt sich nicht an. Das kann mal angepasst werden indem ein hinzugefügt wird oder eins gestrichen wird, aber im Grunde ist es eben nicht dynamisch. Sprache verändert sich im Grunde jeden Tag, oder ganz streng genommen mit jeder einzelnen Äußerung , die getan wird und kann sich dadurch immer an veränderte Welten anpassen. Also, wenn ich mich zurückerinnere an meine Kindheit und Jugend und mir überlege, so späte 70er, frühe 80er Jahre, was das für eine Welt war, dann war das eben eine Welt, in der es in den meisten Haushalten unter anderem in meinem, keinen Computer gab. Heute haben wir alle einen Computer, und zwar einen vernetzten und extrem leistungsfähigen Computer in der Hosentasche und permanent in der Hand. In meiner frühen Kindheit war es in der Bundesrepublik Deutschland so, dass sich die Ehefrau die Erlaubnis des Ehemannes einholen musste, wenn sie berufstätig sein wollte. Ich war 16 als die Mauer gefallen ist und in meiner Kindheit und Jugend, ich bin Westdeutschland aufgewachsen, war die Vorstellung, dass ich mal im schönen Magdeburg berufstätig sein könnte überhaupt nicht auf der Tagesordnung, also es ist eine völlig andere Welt und dann , wenn man sich klar macht, dass Sprache soziales Handeln ist, dann kann man sich ganz gut vorstellen, dass sie sich anpassen muss.

Das Zweite, was man an Jugendsprache aber schön sehen kann ist, dass Sprache auch nicht das ist, was wir uns alltäglich häufig drunter vorstellen, nämlich einfach ein Werkzeug zur Übermittlung von Informationen. Das ist natürlich eine Funktion, aber wirklich nur eine unter vielen. Sprache hat noch ganz andere Funktionen, unter anderem solche, die wir als sozialsymbolische Funktion bezeichnen würden. Und Jugendsprache dient schlicht zur Abgrenzung. Jugendsprache dient zur Bildung von Identifikation einer sozialen Gruppe, die sich abgrenzen möchte von den Generationen, von denen sie sich gerade emanzipiert, sozusagen, in dieser Phase. Und das bedeutet auch immer, dass Leute, die nicht zu dieser Gruppe gehören, eigentlich von vornherein immer keine Chance haben da hinterher zu kommen, weil, in dem Moment, wo jemand wie ich mit knapp 50 das mitbekommen hat, ist es im Grunde schon immer zu spät.

Ina Götze: Also ist es ein Stück weit bewusst, dass man eben auch gar nicht will, also unterbewusst als Jugendlicher, gar nicht will, dass die Eltern einen verstehen?

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, verstehen ist vielleicht gar nicht so der zentrale Punkt, aber man will, was man auf jeden Fall nicht will, dass die Eltern diese Sprache benutzen, weil es die Sprache der eigenen „peer group“ ist.
 

Ina Götze: Was waren so die Hipster-Wörter Ihrer Jugend? Und gibt es Wörter, die sie aktuell nicht mehr verstehen?
 

Prof. Dr. Kersten Roth: Also Hipster zum Beispiel nicht. Ich glaube, das Wort gab es in der deutschen Sprache noch nicht in meiner Kindheit und Jugend. Ich bin tatsächlich die Generation, die das Wort „geil“ salonfähig gemacht hat.
 

Ina Götze: Ja.

Prof. Dr. Kersten Roth: Von einem obszönen und sehr stark sexualisierten Ausdruck zu einem Ausdruck, der heute ja weitgehend neutral verwendet wird. Und natürlich ist es auch meine Generation, die dann irgendwann fand, dass ein Werbeslogan „Geiz ist geil“ ein guter Werbeslogan sein könnte.

Ina Götze: (Lacht)

Prof. Dr. Kersten Roth: Ich persönlich bin nicht daran beteiligt gewesen. (Lacht) Ja, aber, das ist schon auch meine Generation. Wenn Sie fragen, nicht verstehen von jugendsprachlichen Ausdrücken heute: Der Punkt ist tatsächlich nicht so sehr die Bedeutung. Also es ist nicht so, dass es Wörter gibt, von denen ich gar nicht weiß, was sie bedeuten, oder wenn, dann kann ich sie bei meinen Kindern relativ schnell erfragen, was die Bedeutung ist. Das Problem liegt tatsächlich eher auf der Ebene, die wir in der Sprachwissenschaft „Pragmatik“ nennen, also das liegt auf der Ebene, wie benutzt man diese Wörter, wann benutzt man sie, wer benutzt sie und eben auch wann benutzt man sie nicht, man liegt da eben ganz gerne so ein kleines bisschen daneben, wen man dann versucht, diesen Ausdruck zu benutzen. Es gibt häufig bestimmte Wissenshintergründe, die mir dann fehlen würden. Heutige jugendsprachliche Ausdrücke können etwas zu tun haben mit bestimmten Internet-Trends, mit Mimes vielleicht, die die jungen Leute kennen und die ich aber eben nicht kenne und weswegen ich deshalb dann nicht so genau weiß, wie sie eigentlich benutzt werden sollen. Es ist auch ganz spannend, dass das zum Teil sehr kompliziert ist. Und auch das kann man empirisch-linguistisch untersuchen in der Jugendsprachforschung. Es gab eine interessante Untersuchung als das Wort „Assi“ in der Jugendsprache hochfrequent war – so vor 10 Jahren vielleicht etwa – eine Untersuchung von Kollegen, die das an empirischem Material untersucht haben und gezeigt haben, dass dieser Ausdruck „Assi“ von den selben Sprechern als negative Zuschreibung an andere Gruppen verwendet wurde und als positive Selbstzuschreibung verwendet wurde. Und das sind Dinge, die kann man als Außenstehender, die kann mann kaum erlernen. Das ist so ein bisschen so, wie wenn man eine Fremdsprache lernt, mann kann, wenn man fleißig ist irgendwann alle oder viele Vokabeln und man kann die Grammatik beherrschen, aber so die feinen Nuancen, wann benutze ich das und wann nicht, die eben nicht. Und das ist mit Jugendsprache nicht anders.

Ina Götze: Ich würde jetzt zum Beispiel nicht sagen können, wann man das Wort „Assi“ positiv benutzt. Also ich kenne es: „Wie assi bist du denn?“. Aber nicht im positiven Sinne.

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, das ist sozusagen, der positive Gebraucht funktioniert so ein bisschen indirekt. Also das haben diese Jugendlichen in der Gruppe benutzt, wenn sie sich selber sozusagen als eine ganz wilde Gruppe dargestellt haben. Aber in diesem Kontext dann eben als etwas Positives, was sie sozusagen für wilde Dinge tun.

Ina Götze: Verrückt. Ich persönlich nutze ja liebe ein bisschen vergessene Worte wie famos, bauchmiezeln oder Mumpitz. Gibt es Wörter, die Sie in unserem Sprachgebrauch vermissen?

Prof. Dr. Kersten Roth: Also zunächst einmal, wenn Sie famos ansprechen, das ist ganz interessant, ich war gestern in einer Video-Konferenz, wo eine deutlich jüngere Kollegin zweimal das Wort „famos“ benutzt hat.

Ina Götze: Ach, das finde ich famos.

Prof. Dr. Kersten Roth: (Lacht) Genau. Das scheint offensichtlich nichts Individuelles zu sein, sondern das Wort kommt vielleicht wieder. Und das gibt es immer mal wieder auch durchaus auch in jugendsprachlichen Kontexten, dass da alte Wörter reaktiviert werden und plötzlich wieder in Mode kommen. Vielleicht ist das mit „famos“ so. Ich persönlich trauere keinen Wörtern hinterher. Linguistinnen und Linguisten haben ein sehr nüchternes Verhältnis zu Sprache. Wir wissen, dass der Sprachwandel nötig ist und deshalb trauern wir dem auch nicht so hinterher. Aber tatsächlich ist das ein, wenn man sozusagen einen Schritt zurück macht, schon ein wichtiger Punkt. Die vergessenen Wörter oder die verlorenen Wörter sind eben nie ganz verloren. Es liegt immer in der Hand der Sprecherinnen und Sprecher solche Wörter eben auch wieder in den Gebrauch zu bringen, und es gibt durchaus auch Kontexte, wo man sich vorstellen könnte, das systematisch zu machen. Leibniz, den viele vermutlich eher als Mathematiker kennen, wenn Sie nicht an Kekse denken bei Leibniz, hat sich auch mit Sprache beschäftigt und es gab eine Denkschrift Ende des 17. Jahrhunderts, wo er sich damit auseinandergesetzt hat, wie man die damals noch sehr wenig entwickelte deutsche Wissenschaftssprache weiterentwickeln kann. Wie man den Wortschatz ausbauen kann im Deutschen. Da hat er verschiedene Quellen genannt, fremdsprachliche Ausdrücke natürlich oder auch regio-lektale Ausdrücke, also Dialektausdrücke, die man dafür nutzen könnte und alte Wörter, vergessene Wörter sozusagen. Das heißt, die sind natürlich immer ein Fundus, auf den immer wieder zurückgegriffen werden kann.

Ina Götze: Jetzt ist es ja so, dass Sprachgefühl sich nicht nur durch gesellschaftliche Veränderungen weiterentwickelt, sondern auch durch technische; Stichwort digitale Medien. Wie hat sich denn die Art und Weise zu kommunizieren durch Facebook, WhatsApp und Co. verändert?

Prof. Dr. Kersten Roth: Die hat sich natürlich sehr grundsätzlich verändert. Weniger verändert hat sich die Sprache als solche, sozusagen das sprachliche System. Das geht so schnell nicht. Das geht so einfach nicht. Echten Sprachwandel, da denken wir immer in Dimensionen von, na ja, mindestens Jahrhunderten. Den können wir nicht nachweisen. Was man übrigens auch linguistisch nicht nachweisen kann, was man ja oft als Sorge hört, ist dass die Sprache der jungen Leute, die damit aufgewachsen sind irgendwie verarmt. Es gab eine Untersuchung von Züricher Kollegen, die geschaut haben, ob das viele Kommunizieren über digitale Medien sich eigentlich in Schulaufsätzen niederschlägt, ob da sozusagen Einflüsse nachzuweisen sind. Die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass das nicht der Fall ist, also dass die jungen Leute sozusagen schon diese verschiedenen Varianten unterscheiden können und eben auch beherrschen. Also auf dieser Ebene gibt es eher nicht so eine großen Einfluss.

Den Einfluss gibt es aber auf zwei Ebenen. Das eine ist wieder was, was in den Bereich der „Pragmatik“ gehören würde: Natürlich hat sich unser sprachlich-kommunikativer Haushalt, wie wir das nennen würden, total verändert. Wir kommunizieren heute in vielen Kontexten über digitale Medien. Und das heißt übrigens häufig schriftlich, wo wir früher mündlich kommuniziert hätten, telefoniert hätten zum Beispiel, wo wir die Dinge früher ganz anders regeln mussten. In meinem Studium, wenn ich mit einer Professorin sprechen wollte, dann musste ich mich auf einem Zettel eintragen an der Tür. Dann musste ich einen Nachmittag mit 20 anderen Leuten auf dem Flur lagern, um dann irgendwann in der Sprechstunde zu sein und nach irgendeiner Zitierkonvention zu fragen, was dann drei Minuten gedauert hat. Heute schreiben die Studierenden dafür eher eine E-Mail. Das verändert natürlich Dinge über diesen Kommunikationsweg hinaus. Man kann sich vorstellen, dass wenn es solche Kommunikationskanäle gibt wo eben zwischen Studierenden und Dozierenden sehr schnell, sehr regelmäßig, sehr ökonomisch kommuniziert werden kann, dass das auch das Verhältnis der Kommunikationspartner verändert – würde ich in diesem Fall durchaus positiv finden –, aber das ist eben so ein Bereich, wo man auch sieht, dass so was nicht im sprachlichen Bereich bleibt, sondern darüber hinaus Relevanz hat.

Das Zweite ist, dass der Status von Sprache so ein bisschen ein anderer ist in unserer Kommunikation, weil Sprache jetzt sehr häufig eingebettet ist in andere, also in multimodale Zusammenhänge. Wenn Sie sich so einen typischen WhatsApp-Chat vorstellen, da schreibt jemand etwas in geschriebener Sprache, als Antwort kommt vielleicht ein Foto zurück und wiederum als Antwort eine Tonaufnahme, ein Video zurück und dazwischen haben wir noch Heerscharen von Emojis, …

Ina Götze: (Lacht)

Prof. Dr. Kersten Roth: … und das alles zusammen ergibt das Kommunikant. Eigentlich hochspannend aus linguistischer Perspektive, auch wie schnell wir Routinen entwickelt haben, diese multimodale Kommunikation zu leisten. Aber da kommt Sprache natürlich ein anderer Stellenwert zu in dieser Kombination.

Ina Götze: Wo wir gerade bei Sozialen Medien sind fällt mir das doch sehr besondere Kommunikationsverhalten von Donald Trump über Twitter ein. Er hat ja eine sehr besondere Art der politischen Kommunikation darüber betätigt. Hat er damit die Sprache der Politik nachhaltig verändert?

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, ich glaube die Sprache der Politik hat er vielleicht nicht verändert, obwohl er auch eine sehr eigenartige Sprache tatsächlich gebraucht hat. Es gab mal eine sehr schöne Überschrift in der FAZ „Politik in leichter Sprache“ für das was Trump tut, der eben sehr häufig mit einzelnen Wörtern arbeitet, die er immer wiederholt und die jetzt eigentlich nicht so dem Vokabular der politischen Sprache stammen. Also das ist schon eine Eigenart. Aber ich weiß jetzt nicht, ob das sich so erhalten wird. Was tatsächlich sicherlich nicht mehr so richtig zurückzunehmen sein wird ist, dass Donald Trump tatsächlich bewiesen hat, dass die Stilregeln und Gesetzmäßigkeiten politischer Kommunikation tatsächlich durch die sozialen Medien außer Kraft gesetzt werden können. Also alles das, was so unter „Gatekeeping“ fällt. Man hätte sich vor dem Amtsantritt von Donald Trump nicht vorstellen können, dass ein amerikanischer Präsident tatsächlich aus den Privaträumen des Weißen Hauses heraus an der kompletten Administration vorbei und am professionellen Journalismus vorbei kommunizieren kann in Kurznachrichten, um die Leute zu erreichen, die er erreichen möchte. Und er hat gezeigt, dass das geht. Das ist ja zunächst mal auch immer so bisschen eine Hoffnung gewesen, die es gab bei den Sozialen Medien, dass sie eben gerade solche Gatekeeping-Phänomene auch überwinden können und vielleicht neue Öffentlichkeiten schaffen können, in denen sich tatsächlich auch mehr Leute beteiligen können. Ich glaube, dass das Beispiel Trump, und wir haben solche Tendenzen ja durchaus bei uns auch, jetzt tatsächlich eher vorgeführt hat, dass da quasi Diskursraum verstopft wird. Also, dass auf diese Art von Kommunikation tatsächlich auch der Raum wo eine vernünftige Auseinandersetzung über politische Fragen stattfinden könnte kleiner gemacht wird. Ich glaube, das ist eine Tendenz, ich weiß nicht, ob man sagen kann, die hat Donald Trump bewirkt, sondern ich glaube er hat uns sehr drastisch vorgeführt, was wir an Tendenzen letztlich weltweit gerade erleben und was eben auch mit den Sozialen Medien zu tun hat. Ich würde trotzdem nicht die Sozialen Medien verdammen. Man kann sie sicherlich positiv nutzen, aber das erfordert eben auch wieder die Bereitschaft aller Beteiligten genau das zu tun.

Ina Götze: Was er auf jeden Fall verändert hat, ist ja auch so ein bisschen unseren eigenen Wortschatz. Der Begriff Fakenews, den haben wir so vorher nicht so sehr benutzt. Den hat er sozusagen salonfähig gemacht. Aber kann man denn allein anhand der Sprache erkennen, ob jemand lügt?

Prof. Dr. Kersten Roth: (Lacht) Also, wir Linguisten und Linguistinnen können das nicht. Vielleicht können das tatsächlich eher andere Wissenschaften. Die Psychologie kann das möglicherweise an bestimmten Körperreaktionen, einfach Mimischem oder so was sehen. Die Linguistik eher nicht. Wir würden aus linguistischer Sicht allerdings auch bei so was, was so in Richtung Lügendetektor geht sozusagen sagen, ok das kann natürlich aber auch nur Lügen ermitteln, von denen der Lügner weiß, dass er lügt. Das Lügenkonzept ist natürlich möglicherweise viel komplizierter. Plattes Beispiel: Wir erziehen unsere Kinder alle dazu zu lügen, wenn der Onkel fragt, findest du mich zu dick, dann sagt das Kind, wenn es gut erzogen ist, „Nein, alles gut“.

Ina Götze: (Lacht)

Prof. Dr. Kersten Roth: … und sagt damit möglicherweise bewusst die Unwahrheit und würde keinen Lügendetektor-Test bestehen. Aber die Frage ist, ist das eine Lüge. Wir würden es linguistisch eher unter so was wie Höflichkeit fassen. Also insofern, Lüge erkennen eher nicht. Was die Fake-News angeht, da ist natürlich das Spannende, das Fake-News als Vorwurf immer in beide Richtungen funktioniert. Also Donald Trump hat diesen Begriff sehr stark geprägt, aber seine Gegner haben ja durchaus auch… Es gibt ganze Listen und Wände an denen Leute Lügen von Donald Trump gesammelt haben, also das geht ja in beide Richtungen. Als linguistischer Beobachter von linguistischer Sprache würden wir zunächst mal mit unterschiedlichen Wahrheiten, mit alternativen Fakten sozusagen, wenn man so will, gar nicht so ein großes Problem haben. Politische Sprache und Auseinandersetzung lebt immer von verschiedenen Perspektiven, die sich dann auch in Sprache fasst, also mit unterschiedlicher Konstruktion von Wirklichkeit. Ansonsten bräuchten wir ja keinen politischen Diskurs, also dass eine bestimmte Maßnahme von der einen Seite als Mütterrente bezeichnet wird und von der anderen als Herdprämie, das ist das Wesen von politischer Auseinandersetzung und wir würden da eigentlich nicht die Zuordnung machen: Ja, es ist aber eine Mütterrente und Herdprämie ist eine Lüge oder umgekehrt. Sondern es sind unterschiedliche Konstruktionen. Gerade in dem Trump-Kontext können wir ja auch sehen, dass es einen gewissen Konsens sozusagen braucht darüber, was die Grundlage der Auseinandersetzung ist. Also der eine kann es Herdprämie nennen, der andere kann es Mütterprämie nennen, aber wenn eben grundsätzlich in Frage gestellt wird, ob es einen solchen Gesetzesentwurf gibt, dann wird politische Auseinandersetzung schwierig und das ist ja das, was wir jetzt auch gerade im Kontext mit dem Verhalten von Donald Trump nach der Wahl vorgeführt bekommen haben.

Ina Götze: Passend zum Thema Politik und Gesellschaft, Sie gründen in diesen Tagen eine Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung. Und wir sind schon ein bisschen stolz, denn damit entsteht an unserer Uni etwas, was es deutschlandweit noch nicht gibt: nämlich eine Transfereinrichtung für die linguistische Beratung von Politik und Gesellschaft. Was erforschen Sie da genau und wieso sind die Erkenntnisse wichtig für uns?

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, in dieser Form jedenfalls gibt es das in Deutschland an anderen Universitäten bisher nicht. Ja, das gesellschaftliche und politische Phänomene eigentlich immer mit Sprache zu tun haben, wir haben ja jetzt über einiges davon heute auch schon gesprochen, das ist bekannt. Das wissen die Kolleginnen und Kollegen aus den Fächern die dafür zuständig sind, den Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften. Das wissen auch Journalisten und Journalistinnen und trotzdem ist es so, dass die Linguistik als Stimme, auch als Beratungseinrichtung stark unterbelichtet ist und wir das so in der Community auch seit Längerem wahrnehmen und beklagen. Und die Schuld daran tragen, das muss man so hart sagen, wir Linguisten und Linguistinnen selber, weil wir ein Missverständnis nicht aufklären. Das Missverständnis besteht darin, dass die Leute denken, dass Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen Leute sind, die sich mit Sprache beschäftigen, also Experten sind, die etwas über Sprache wissen. Das ist auch richtig so, da will ich gar nicht dran rütteln.

Aber wir beschäftigen uns eben mit Sprache, unter anderem auch, um über die Analyse von Sprache etwas über gesellschaftliche Wirklichkeit zu verstehen, gesellschaftliche Probleme zu verstehen, Herausforderungen zu erkennen, Chancen zu erkennen. Und die Idee, die mein Team und ich verfolgen mit dieser Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung ist genau diese zweite Perspektive stärker bekannt zu machen und tatsächlich auch ganz konkret nutzbar zu machen. Wenn Sie fragen was erforschen wir: Im Grunde, das was unser normaler Forschungsgegenstand, was tatsächlich unsere Expertise ist. Ich will es vielleicht mal an ein paar Beispielen klarmachen, in welche Richtung das gehen könnte. Wenn wir zum Beispiel eine Diskussion wie die um rassistische Kommunikation in WhatsApp-Gruppen bei der Polizei haben, die uns eine Weile beschäftigt hat, dann ist das Thema dieser Diskussion zunächst mal Sprachhandeln. Sprachhandeln zunächst übrigens in diesem Fall in digitalen Medien, darüber haben wir vorhin gesprochen, die auch so ein bisschen ihre Eigengesetzlichkeiten haben. Und wo eine linguistische Analyse: Was wird kommuniziert? Was wird formuliert? Was wird weitergeleitet? Und so weiter. Das wären Fragen, die man durchaus linguistisch angehen kann und natürlich: Ist Rassismus überhaupt ein sprachliches Phänomen und eine sprachliche Konstruktion? Wie Sexismus übrigens auch. Und alle Akteure, die damit zu tun haben, diese Dinge zu bekämpfen, wo wir uns hoffentlich einig sind, dass das nötig ist, können linguistische Expertise brauchen. Anderes Beispiel ist, alles was mit gesellschaftlicher Divergenz und Konvergenz zu tun hat, also mit dem Zusammenhalt von Gesellschaft und dem was Gesellschaft auseinandertreibt. Ist häufig eben auch in großen Teilen mit Sprache verbunden. Ich selbst arbeite schon recht lang zum Ost-West-Diskurs, also zu den sprachlichen Verhältnissen zwischen Ost- und Westdeutschland. Wir alle kennen diesen Ausdruck von der Mauer oder den Mauern in den Köpfen, die noch immer bestehen zwischen Ost und West. Wir würden sagen, das sind Diskursmauern, beziehungsweise das sind sprachlich gemachte Mauern und man kann sich eben zum Beispiel den medialen Diskurs über Ost und West anschauen und dann kann man relativ schön zeigen, dass es tatsächlich ein bestimmtes Muster, ich hab das mal eine topische Treppe genannt, ein bestimmtes Beschreibungsmuster gibt, in dem Ostdeutschland regelmäßig sprachlich gefasst wird und das besteht aus der Markierung zunächst Mal von einer Abweichung. Also das Ostdeutsche ist immer das, was anders ist, zu einer nicht weiter genannten Folie, die natürlich der Westen darstellt, aber das wird normalerweise nicht ausgeführt. Diese Abweichung ist in der Regel eine Schwäche, also das ist keine positive Abweichung, sondern das ist irgendwie immer eine Schwäche und diese Schwäche erscheint dann als Belastung für Westdeutschland oder für auch Gesamtdeutschland und ein solches Muster trägt natürlich etwas dazu bei, dass bestimmte Unterschiede und Spaltungen nicht überwunden werden können. Konkretes Beispiel: Pediga ist immer als ostdeutsches Phänomen konzeptualisiert worden in den Medien. Querdenken wird nicht in gleicher Weise als westdeutsches Phänomen gefasst, obwohl es ja in der ursprünglichen Fassung sogar mit der Stuttgarter Vorwahl versehen war und natürlich aus bestimmten Szenen entstammt, die sehr typisch westdeutsch sind.

Solche Dinge zum Beispiel zu erkennen und das sind alles sprachlich nachweisbare Phänomene, das wäre eben etwas, was wir in dieser Transfereinrichtung gerne einbringen würden, dort wo es gebraucht wird. Und wenn Sie mir erlauben würde ich noch einen dritten Aspekt nennen, weil der für das Inneruniversitäre vielleicht auch interessant ist. Wir denken tatsächlich auch an unsere Kolleginnen und Kollegen aus anderen Wissenschaften und zwar aus solchen, die vielleicht uns Germanisten gar nicht auf dem Schirm haben, wenn sie an ihre Arbeit gehen, zum Beispiel die Kolleginnen und Kollegen aus den Ingenieurswissenschaften. In ganz vielen Arbeitsfeldern dort gibt es Akzeptanzthemen, also wenn wir zum Beispiel an die Projekte rund um das autonome Fahren denken. Da gibt es die Problematik: Was akzeptiert die Gesellschaft? Wie weit würde sie gehen? Welche Ängste gibt es? Welche Sorgen gibt es da möglicherweise? Und so etwas kann man aus verschiedenen Richtungen erforschen. Das macht zum Beispiel die Sozialpsychologie auch bei uns an der OVGU, aber das kann man eben auch diskurslinguistisch untersuchen. Und das heißt, man kann es untersuchen indem man sich in Mediendiskursen, aber durchaus auch in Alltagsdiskursen mal anschaut, wie über das Thema gesprochen wird und sich mal konkret anschaut: Was meinen eigentlich Leute, die Angst vorm autonomen Fahren haben? Zum Beispiel, was stellen die sich darunter vor? Was meinen sie damit eigentlich? Und das kann Kommunikationsprozesse zwischen Wissenschaft und Laien sozusagen, sicherlich auch begünstigen und wären zum Beispiel entsprechende Begleitforschungen denkbar.

Ina Götze: Sie haben auch gerade vom medialen Diskurs gesprochen, was in Bezug auf Wahrnehmung und Meinungsbildung eben auch extrem wichtig ist. Eben das zum Beispiel Pegida oder die Querdenkenbewegung ostdeutsch wahrgenommen wird. Paradebeispiel für Zuspitzungen ist ja auch die Bildzeitung, die ihre Headlines doch sehr knapp auf eine Aussage oft reduziert. Wie viel Einfluss haben denn Medien mit ihrer Sprache auf unser Meinungsbild?

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, natürlich einen sehr großen. Also das was wir anfangs besprochen haben, dass wir ganz viel über unsere Welt sprachvermittelt wissen, heißt natürlich etwas präziser ausgedrückt ganz häufig, dass wir es aus der sprachlichen Vermittlung über Medien wissen und Leitmedien wie die Bildzeitung oder natürlich auch andere spielen da natürlich eine ganz große Rolle. Das Verhältnis von Mediensprache, was ja auch einer der Schwerpunkte bei uns hier ist und politischer Sprache, was ein anderer Schwerpunkt bei uns hier ist. Das ist häufig ein relativ kompliziertes Verhältnis. Ich will das vielleicht am Jahr 2020 und dem Corona-Diskurs mal festmachen und der Rolle der Virologinnen und Virologen in diesem Diskurs. Wir haben im Frühjahr 2020… tauchten plötzlich Fachwissenschaftlerinnen, ganz wenige zunächst mal und vor allem männliche Fachwissenschaftler aus einer Disziplin auf, die ansonsten im Mediendiskurs, die, ich sag mal in der Bildzeitung, vorher nicht so häufig vorkamen, nämlich Virologen und Epidemiologen. Und die wurden von der politischen… von der Politik ganz stark kommunikativ genutzt im Frühjahr, wenn wir so März/April 2020 uns anschauen, zur Begründung und zur Legitimation der sehr weitreichenden und demokratietheoretisch problematischen, politischen Entscheidungen und in diesem Zug wurden diese Virologen – wir denken an Herrn Drosten, wir denken an Herrn Streg – sehr groß aufgebaut. Sie tauchten plötzlich in jeder politischen Talkshow auf und waren plötzlich Protagonisten dieses Diskurses und das Ganze, und da kommen eben die Medien ins Spiel, nicht allein unter politischer Logik, schon gar nicht unter wissenschaftlicher Logik, sondern und medialer Logik. Und Medien brauchen bestimmte Aspekte, brauchen bestimmte Prinzipien, dazu gehört Personalisierung, dazu gehört aber auch Abwechslung – also Medien brauchen ja auch immer wieder was Neues und das führte dazu, dass, nicht zuletzt die von ihnen erwähnte Bildzeitung, anfangs an diesem Aufbau von zum Beispiel Christian Drosten als großer Hoffnungsträger quasi mitgewirkt hat. Es gab dann mal eine Aktion, der eine oder andere wird sich noch dran erinnern, wo man gewissermaßen seinen Lieblingsvirologen wählen konnte bei der Bildzeitung – Virologe des Vertrauens, oder so ähnlich hieß das und wenige Tage oder Wochen später begann dann eine Demontage, zum Beispiel von Christian Drosten, durch die Medien. Was wiederrum dazu geführt hat, dass sich die Politik begonnen hat zu distanzieren von den Virologen. Dann hat plötzlich Armin Laschet gesagt, dieses und jenes, das ist mir zu virologisch gedacht und so. Also da fing dann sowas wieder an. Also das ist ein sehr kompliziertes Verhältnis zwischen Politik und Medien und in diesem Fall Fachwissenschaften. Wir beginnen, oder haben im November ein Drittmittelprojekt zusammen mit der TU Darmstadt, wo wir das uns genauer anschauen werden. Das heißt „Zwischen Elfenbeinturm und rauer See“ und da wollen wir uns die Virologen zwischen Politik und Medien mal genauer anschauen.
 

Ina Götze: Ein sehr pointierter Titel muss man sagen. Also die Virologen sind ja so ein bisschen die Popstars der Corona-Pandemie – erst gelobt und dann fallen gelassen. Sind Ihnen denn mit Beginn der Pandemie auch sprachliche Besonderheiten, einige hatten Sie eben auch schon angesprochen, von Politikern und Medien aufgefallen, um vielleicht auch die Akzeptanz gegenüber bestimmten Maßnahmen bei uns zu verbessern?
 

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, also ich will erstmal noch zu den Popstars nochmal kurz was nachtragen, zunächst Popstars, dann aber eben in weiten Teilen auch Buhmann und das alles unter medialer Logik. Mir ist gerade nochmal eingefallen, Christian Drosten hat irgendwann gesagt, er würde jetzt Karikaturen in der Zeitung sehen, in denen er sich selbst als Comicfigur sieht und ihm würde schlecht werden. Und man sieht also, dass das unvorbereitete Eintreten von Akteuren, die sich mit dieser Logik nicht befasst haben in dem medialen Raum eben tatsächlich mit Risiken verbunden ist für denjenigen, der es tut.

Ina Götze: Der kann einen aber auch leidtun, muss man sagen. Der macht nur seinen Job und wird dann durch den Dreck gezogen dafür.
 

Prof. Dr. Kersten Roth: Na ja, die Frage wäre tatsächlich und das ist so ein bisschen die Idee unseres Projektes, auch zu schauen: Kann man sich Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler ein bisschen davor schützen? Also was muss man eigentlich tun, damit einem das nicht passiert? Das geht sicherlich nur in bestimmten Maße, weil Medienlogik eben Medienlogik ist. Aber wir wollen auch so ein bisschen gucken, wo vielleicht die Punkte waren, wo da das ein oder andere schiefgelaufen ist. Zu Ihrer Frage nach Strategien, jetzt im Umgang mit Corona von Seiten der Politik, da ist sicherlich vor allem der internationale Vergleich ganz spannend. Wir sind Germanisten, aber natürlich betrachten wir auch die deutsche Sprache immer so ein bisschen im Vergleich und im Kontext, was in anderen Sprachen und Ländern passiert und man konnte in diesem Corona-Kontext natürlich sehr schön sehen, wie sich in Sprache verschiedene politische Kulturen, möchte ich das mal nennen, in den Ländern zum Ausdruck bringen. Also wir hatten Länder, in denen die Verantwortlichen ja im Grunde das Problem geleugnet haben, da war Brasilien ein ganz starkes Beispiel, wir haben Länder in denen sehr stark Liberalität betont wurde von Seiten der politischen Verantwortlichen. Das haben wir zum Beispiel in der Schweiz, wo die Maßnahmen bei der ersten Welle gar nicht so arg unterschiedlich waren zu denen in Deutschland, aber sie doch anders kommuniziert worden und das haben wir natürlich in Schweden, wo man dann auch ganz schön sieht, dass so eine politische Kultur und eine Art und Weise über Dinge zu sprechen dann tatsächlich auch unterschiedliche Auswirkungen hat, in diesem Fall in der Politik und in den Fallzahlen und so weiter. Und dann haben wir Länder wie Frankreich, wo sehr schnell eine Metapher präsent war, die einfach dort in der politischen Kultur insgesamt präsent ist, nämlich die Metapher vom Krieg. Also Macron hat sehr schnell davon gesprochen, dass man im Krieg gegen das Virus sei. Das ist zum Beispiel eine Metapher, die wir im deutschen Diskurs bis heute im Zusammenhang mit Covid-19 kaum finden oder nicht finden, jedenfalls nicht von den wesentlichen Verantwortlichen. Das hat natürlich gute Gründe und das hat was mit der speziellen politischen Kultur hier zu tun und zeigt dann aber eben tatsächlich auch, wie sich das konkret in der Wahl unterschiedlicher sprachlicher Mittel niederschlägt.

Ina Götze: Dazu muss man ja sagen… oder passend dazu, ist die Rede von Frau Merkel gestern (Hinweis, wir nehmen Mitte Dezember auf an dieser Stelle), wo sie ja wirklich, für ihre Art und Weise, übermäßig emotional tatsächlich appelliert hat. Würden Sie sagen sowas brauch es mehr, oder wird an sich gut kommuniziert von Politikern und Medien?
 

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, das war tatsächlich ganz spannend, was in der Bundestagsdebatte Angela Merkel gestern gesagt hat, ist ja auch von allen Beobachtern so wahrgenommen worden… Also grundsätzlich würde ich zunächst Mal sagen, ich glaube man hat sehr lang, sehr gut kommuniziert in Deutschland. Ich meine, man kann das schlicht ja an der hohen Akzeptanz der Maßnahmen festmachen, die ja sehr, sehr lang in allen Umfragen erstaunlich hoch war. Wenn man sich sozusagen überlegt: Wozu dient diese Kommunikation? Dann muss man sagen, die war erfolgreich, wenn sie dazu dient. Eine verhältnismäßig nüchterne Art und Weise, mit der man das anfangs gemacht hat. Das beginnt oder begann dann so gegen Ende des Jahres aber durchaus ein bisschen zu bröckeln und da würde ich dann schon sagen, da wäre ein Strategiewechsel nötig, möglicherweise haben wir den gestern ja ein bisschen schon erlebt. Es gibt zwei Möglichkeiten darauf zu reagieren: Die eine wäre, dass man sozusagen mehr Pathos auspackt und den großen Appell rausholt. Das war eigentlich bisher nicht so das Register, das Angela Merkel gut beherrscht und gut bedienen konnte. Also ich will gern dran erinnern, wie erfolgreich Barack Obama mit „Yes we can“ war und wie viel Pathos da drinsteckte und wie sehr Angela Merkel mit der deutschen Entsprechung „Wir schaffen das“ kommunikativ gescheitert ist. Also einfach, weil sie dieses Register nicht gut bedient. In dieser Bundestagsdebatte hat sie tatsächlich was sehr Interessantes gemacht, da in ihrer Rede, da hat sie nämlich auf pathetische Weise zu Nüchternheit und Sachlichkeit appelliert. Das ist ein ganz gutes Mittel und ein ganz guter Schachzug gewesen, indem sie betont hat, auch unter Verweis auf ihre eigene Lebensgeschichte in der DDR und so weiter, wie wichtig ihr ist und dass sie daran festhalten wird und dass es für uns alle eben so wichtig ist, bei Fakten und Sachlichkeit zu bleiben. Das ist vielleicht tatsächlich ein Weg, mit dem sie das lösen könnte. Aber ich glaube der wichtigere Weg ist tatsächlich, dass Politik mehr erklären muss und ich meine mit erklären gar nicht mal unbedingt die politischen Maßnahmen selbst oder irgendwas, was unmittelbar mit dem Virus zu tun hat, sondern Politik erklären muss. Zum Beispiel den Föderalismus erklären muss, der zunehmend nicht mehr verstanden wird von den Leuten. Warum ist das so, dass es in jedem Bundesland anders ist? Oder auch solche Dinge erklären muss, wie: Na ja, wenn es doch so ist, dass die Verbreitung des Virus vor allem in privaten Räumen stattfindet, dann müssen wir doch da ran und da muss immer wieder erklärt werden und vielleicht kann man das sogar mit Pathos verbinden, dass es eben sehr gute Gründe hat, warum in Deutschland die Politik nicht in die Wohnzimmer hineinregiert, wie das in der ein oder anderen Diktatur der Fall ist, die sich rühmt mit dem Virus gut zurecht zu kommen.

Ina Götze: Also ich finde den Weg bisher auch sehr gut, sehr nachvollziehbar. Aber ja, man merkt an der einen oder anderen Stelle, so ein bisschen Hintergrunderklärung, ein bisschen mehr abholen, und das merken wir auch oft bei uns an der Universität, dass manchmal Informationshappen dann doch fehlen, um dahinter zu verstehen und das Ganze zu verstehen.

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja und das ist natürlich für Leute, die in dem Thema so drin sind, wir das Fachwissenschaftler an der Uni sind und wie jetzt natürlich die Politiker, die jetzt Tag für Tag dran sitzen, natürlich sind, wird das irgendwann auch schwer. Also es ist irgendwann natürlich auch ein Expertenproblem, das sich da stellt und man bräuchte tatsächlich da sozusagen immer mal wieder den beratenden Hinweis auf schlicht Übersetzungsleistungen auch, die nötig sind.
 

Ina Götze: Jetzt gibt es ja nicht nur ein neues Virus, wir benutzen auch neue Wörter. Also Socialdistancing, Lockdown light, Herdenimmunität, das sind alles Wörter, die es so noch nicht gab, oder die wir auch einfach in unserem Alltagssprachgebrauch gar nicht verwendet haben. Warum entwickeln wir in einem solchen Ausnahmezustand so viele neue Begriffe?

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, das ist einfach das Musterbeispiel für das, worüber wir vorhin schon mal gesprochen haben. Sprache kann sich unglaublich schnell anpassen an veränderte Realitäten. Wir hatten alle noch nicht richtig wahrgenommen was los ist im März, schon waren die Wörter in unserem Sprachgebrauch gewissermaßen. Wie sie richtig sagen, zum Teil sind das Wörter, die aus der Fachsprache plötzlich in die Alltagssprache gewandert sind, über Herdenimmunität haben die wenigsten von uns vor März wahrscheinlich gesprochen. Inzidenzen und R-Werte oder was auch immer, über das wir jetzt tagtäglich an den Familientischen sprechen, waren eben Fachwörter. Und andere Wörter sind tatsächlich neu in die deutsche Sprache gekommen, wie etwa Lockdown, weil es einfach die Notwendigkeit gab etwas zu bezeichnen, was es so in der Bundesrepublik eben noch nicht gegeben hat. Diese Maßnahmen, die da im Frühjahr getroffen worden. Das Spannende ist, dass diese Wörter tatsächlich mittlerweile schon sowas wie eine Mini-Sprachgeschichte entwickelt haben im Laufe des Jahres. Also vielleicht erinnern wir uns noch dran, im Frühjahr gab es so ein bisschen eine Bezeichnungskonkurrenz, ob das nun ein Shutdown oder ein Lockdown ist, der da fällt, das stammt aus unterschiedlichen Verwendungskontexten sozusagen. Dann hat sich der Lockdown durchgesetzt zunächst mal, mittlerweile im Herbst hat man dann jetzt den Eindruck, ohne das jetzt empirisch ausgezählt zu haben, dass der Shutdown so ein bisschen wieder reaktiviert wurde, weil er nicht so ganz das böse Lock enthält, das Schließen, auch das Einschließen, das da drinsteckt. Aber insgesamt hat sich schon glaub ich Lockdown durchgesetzt und ist zu einem tatsächlich deutschen Wort geworden, ein Wort der deutschen Sprache. Das würden wir linguistisch immer daran festmachen, ob es produktiv ist, also ob es sich einbindet in Wortbildungen zum Beispiel und wir benutzen mittlerweile alle ganz selbstverständlich ein Wort wie den Teil-Lockdown, ein Kompositum mit Lockdown und das heißt, ja es ist wohl ein Wort der deutschen Sprache geworden. Wir können uns alle nur wünschen, dass wir nicht mehr so oft darüber sprechen müssen…

Ina Götze: Nein, aber herzlich Willkommen in der Familie an der Stelle. (Lacht)

Prof. Dr. Kersten Roth: (Lacht) Genau, aber ich hab ein bisschen schon die Vermutung, dass das Wort künftig immer zur Verfügung stehen wird, wenn irgendwo etwas eingeschränkt wird, wird es naheliegen vom Mini-Lockdown oder von was auch immer zu sprechen.

Ina Goetze: Vielleicht spricht man dann auch nicht mehr von Hausarrest, sondern: „Wenn du nicht spurst, gehst du in den Lockdown!“ (Lacht)
 

Prof. Dr. Kersten Roth: (Lacht) Genau, möglicherweise.

Ina Goetze: Zum Abschluss gerne noch etwas Unwissenschaftliches. Sie sind ja auch Mitglied in der Jury für das Unwort des Jahres. Welches ist ihr persönliches Unwort des Jahres 2020?
 

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, bin ich tatsächlich 10 Jahre gewesen, es gibt jetzt einen Wechsel in der Jury. Wir haben das 10 Jahre in dieser Besetzung gemacht und haben jetzt beschlossen, dass auch bei dieser Sache, wie bei eigentlich allem, es ganz gut ist, wenn es dann auch mal neuen Wind gibt und neue Wesen gibt. Es gibt jetzt eine neue Jury und ich freue mich sehr, dass die Aktion, die ich für sehr wichtig halte, mit Magdeburg verbunden bleiben wird, meine Kollegin Kristin Kuck wird der neuen Jury angehören. Das heißt, das Thema bleibt uns erhalten, wir bleiben da dran und die Kollegin aus dem Team wird da künftig mitarbeiten. Ja, für mich waren immer tatsächlich die spannendsten Wörter, wenn wir in der Jury diskutieren… die Jury hat tatsächlich immer grundsätzlich per Einstimmigkeit beschlossen, wir haben also da keine Mehrheitsentscheidungen gemacht und wir haben tatsächlich stundenlang die Dinge diskutiert bis wir uns einig waren und uns gegenseitig überzeugt hatten. Für mich waren die spannendsten Wörter eigentlich immer die, die jetzt nicht aus einer Ecke kommen, wo man sozusagen gar nicht damit rechnet, dass da jemand bemüht ist einen pluralen, demokratischen Diskurs zu führen, sondern die so ein bisschen unauffälliger sind und die uns zunächst Mal vielleicht gar nicht als störend auffallen und für mich war das tatsächlich da Wort Systemrelevanz. Mein Vorgänger auf dem Lehrstuhl hier Armin Burkhardt hat in einer Zeitschrift, die ich mit einem Kollegen aus Trier zusammen herausgebe einen schönen Essay geschrieben in diesem Jahr, zu diesem Ausdruck Systemrelevanz, wo er ganz schön zeigt, dass es möglicherweise sympathischer ist, vermutlich vielen von uns, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger als systemrelevant zu bezeichnen, als Großbanken, die sich verspekuliert haben, wo wir den Ausdruck kennengelernt haben vor ein paar Jahren. Aber das eigentlich tatsächlich die Semantik des Wortes selbst einer pluralen Gesellschaft nicht entspricht, weil sie sozusagen unterstellt, dass es nicht-systemrelevante Berufe, Tätigkeiten gäbe und das wird sehr schnell, sehr problematisch, wenn man das zu Ende denkt. Also insofern mein Unwort 2020 ist tatsächlich Systemrelevanz.

Ina Götze: In diesem Sinne ganz, ganz vielen Dank für das tolle Gespräch, dass sie mit mir so viel über das Thema Sprache gesprochen haben.

Prof. Dr. Kersten Roth: Ja, vielen Dank – ebenfalls.

Ina Götze: Ich habe viel mitnehmen können, ich hoffe unsere Zuhörerinnen und Zuhörer da draußen auch. Ich hoffe, auch Sie schalten das nächste Mal wieder ein und bis dahin wünsche ich Ihnen, doch ich glaub man kann es noch sagen, einen guten Start in das neue Jahr und bleiben Sie gesund!

 

Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.