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Prof. Dr. Sebastian Eichfelder auf dem Campus der Uni Magdeburg (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
23.05.2022 aus 
Forschung + Transfer
Was hilft gegen die Inflation?

Auf die Corona-Pandemie folgte der Krieg in der Ukraine. Zwei Krisen, die die wirtschaftliche Entwicklung der Welt stark beeinflussen. Verbraucher*innen spüren es vor allem an der Zapfsäule und im Supermarkt: Die Preise steigen immer mehr an. Um der Inflation entgegenzuwirken, sollen Steuern für Verbraucher*innen gesenkt werden, für Unternehmen vielleicht erhöht. Wie viel solche Anpassungen bringen und welche Alternativen es gibt, darüber sprach Ina Götze aus der Pressestelle der Universität Magdeburg mit dem Steuerexperten und Leiter des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre Prof. Dr. Sebastian Eichfelder im Interview.

Bereits während der Corona-Pandemie waren Steuern auf bestimmte Lebensmittel für Verbraucher kurzzeitig gesenkt. Bringen solche Anpassungen wirklich einen wirtschaftlichen Vorteil?

Dazu gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, die belegen, dass solche kurzfristigen Anpassungen zwar durchaus positive Effekte auf den Konsum und das Wachstum entfalten, aber doch insgesamt eher ineffizient sind und viele Nachteile haben. Für Unternehmen entstehen zum Beispiel sehr hohe Bürokratiekosten, wenn es kurzfristig zu Änderungen der Umsatzsteuersätze kommt. Dabei geht es nicht nur darum, ein paar Preisschilder zu ändern, sondern darum je nach Unternehmensgröße tausende bis Millionen von Buchungsvorgängen anzupassen. Die Buchhaltung ist meist in einer Software hinterlegt, die nicht auf kurzfristige Änderungen des Steuersatzes ausgelegt ist. In einem Projekt hatten wir das genauer untersucht und 40 Experteninterviews mit Steuerberatern und Unternehmen durchgeführt. Das Ergebnis: Die Bürokratiekosten beliefen sich auf etwa zweieinhalb Milliarden Euro. Das Statistische Bundesamt hatte lediglich Kosten von einem Zehntel veranschlagt, dabei aber nur zwei Unternehmen befragt, die offenbar nicht repräsentativ waren.

Aus ökonomischer Sicht gibt es eindeutig bessere Maßnahmen. Wenn beispielsweise der Konsum gefördert werden soll, ist eine Direktzahlung an die Bürger*innen viel effektiver. Dies gilt insbesondere, wenn man Direktzahlungen auf einkommensschwächere Gruppen konzentriert, die praktisch ihr gesamtes Einkommen konsumieren und nicht sparen. Sinnvoll wären auch Direktzahlungen an betroffene Gewerbetreibende oder ein Mietmoratorium für entsprechende Gruppen gewesen.

Gerade Einzelhändler verfügen häufig über keine hohe Kapitalausstattung und müssen sich auch gegenüber der Konkurrenz von Amazon und dem Onlinehandel behaupten.

Finanzminister Lindner plant ja für den Herbst Steuerentlastungen, um der Inflation entgegenzuwirken. Wie können Steueranpassungen die steigende Inflation beeinflussen?

Kurzfristige Senkungen der Mehrwersteuersätze für sechs Monat bringen auch hier nicht sehr viel. Die dauerhafte Senkung von Konsumsteuern ist wegen der Inflation aber ein wichtiges Thema – vor allem für Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs. In den letzten 20 - 30 Jahren wurden vor allem Steuern gesenkt, die reichere Bevölkerungsschichten betreffen - die Erbschaftsteuer, Körperschaftssteuer, die Einkommensteuer auf Kapitaleinkünfte, die Steuern auf die Veräußerung von Unternehmensanteilen, die Vermögensteuer, um einige Bespiele zu nennen Davon hat immer die gleiche Gruppe profitiert hat. Im Gegensatz dazu wurden Steuern auf Konsum und vor allem Energie deutlich erhöht. Angesichts der Inflation sollte diese Schieflage beseitigt und Steuerbelastungen sollten fairer verteilt werden.

Aus ökologischen Gründen wollen wir Energie nicht unbedingt günstiger machen und damit Anreize bieten, Energie zu verschwenden. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch eine soziale Komponente. Da wäre das Schweizer Modell eine gute Lösung: Die Schweiz hat eine CO2-Steuer eingeführt, die als einkommensunabhängige Pauschale an die Bürger rückerstattet wird. Davon profitieren Haushalte mit geringen Einkommen stärker, da diese sich Flugreisen, teure und schwere Autos und große Häuser weniger leisten können und somit auch weniger Energie verbrauchen. Es geht nicht darum über derartige Steuern mehr Einnahmen zu generieren, sondern darum, Preise zu verändern. In Deutschland hatten wir 2020 etwa 44 Milliarden Euro Einnahmen durch die Energiesteuer und die Stromsteuer. Diese Steuereinnahmen sind bislang aber nicht an den CO2-Verbrauch gekoppelt und begünstigen die klimaschädliche Kohle als Energieträger. Statt nun eine neue CO2-Steuer einzuführen, wäre es viel zielführender, die bestehenden Steuern zu reformieren und an den CO2-Verbrauch und andere klimaschädliche Emissionen anzupassen. Daraus resultierende Einnahmen könnten dann pauschal an die privaten Haushalte als pro-Kopf-Zahlung abgeführt werden. Dies würde dafür sorgen, dass einkommensschwache Haushalte in Zeiten der Inflation entlastet werden und zugleich Anreize für den Klimaschutz gesetzt werden.

In der Diskussion ist momentan, dass Steuern für Unternehmen gesenkt werden sollen. Ist das wirtschaftlich sinnvoll oder Lobbyismus?

Unternehmensverbände fordern seit Jahrzehnten, dass Unternehmenssteuern gesenkt werden. Die Diskussion ist also alles andere als neu und es wurden auch bereits mehrfach erhebliche Steuersenkungen für Unternehmen vorgenommen. Durch die Unternehmenssteuerreformen 1999, 2001 und 2008 sank die Steuerlast von deutschen Kapitalgesellschaften von etwa 57 % Ende der 1990er Jahre auf etwa 30 % heute.

Strukturell betrachtet ist das Lobbyismus. Lobbyverbände wie etwa die „Stiftung Familienunternehmen“ oder „ASU – Die Familienunternehmer“ haben zwar klangvolle Namen, aber vertreten vor allem das Interesse sehr reicher deutscher Familien weniger Steuern zahlen müssen. Dementsprechend konzentriert sich das Lobbying dieser Verbände nicht darauf die Belastung von Unternehmen mit Bürokratiekosten zu senken – was vor allem kleine Unternehmen belastet –, sondern darauf Vermögensteuern, Erbschaftsteuern und ein Transparenzregister für Lobbyaktivitäten zu vermeiden. Derartige Lobbyverbände schrecken auch vor Desinformation nicht zurück. So hat etwa die „Stiftung Familienunternehmen“ einen „Länderindex Familienunternehmen“ veröffentlicht, in dem ein Hauptfokus auf der Erbschaftsteuer liegt, die mit 6 % in den Gesamtindex eingeht (Steuern insgesamt mit 20 %). Seriöse Indizes zur Standortattraktivität, wie etwa der Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums in Davos, messen der Erbschaftsteuer allerdings überhaupt kein Gewicht bei und gewichten Unternehmenssteuern insgesamt mit nur 1,38 %. Es ist offenkundig, dass mit dem „Länderindex Familienunternehmen“ gezielt Desinformation betrieben wird, um Druck auf die politische Debatte auszuüben, wobei das Ziel in der Abschaffung der Erbschaftsteuer liegen dürfte.

Derartige Bemühungen von Lobbyverbänden haben zu einer Schieflage im deutschen Steuersystem geführt, nach dem gerade vermögende Personen stark steuerlich privilegiert werden. Dies äußert sich etwa dadurch, dass Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien, die die letzten Jahre stark im Wert gestiegen sind, nach einer „Spekulationsfrist“ von 10 Jahren vollkommen steuerfrei sind, während Erwerbseinkommen mit bis zu 50 % Steuern belastet werden. Vor diesem Hintergrund sollten Bemühungen deutscher Lobbyverbände Unternehmenssteuern zu senken, sehr vorsichtig gehandhabt werden.

Es gibt durchaus Bereiche, in denen steuerliche Entlastungen für Unternehmen und Unternehmensgründer sehr sinnvoll sind. Diese betreffen etwa Entlastungen bei Bürokratiekosten, Erleichterungen bei der sehr restriktiv gehandhabten Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer oder Erleichterungen bei der Verlustverrechnung. Zudem plädiere ich für zeitlich befristete Steuervergünstigungen wie Sonderabschreibungen, um gezielt Investitionen in Bereichen zu fördern, die für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wichtig sind. Hier sollte es um Investitionen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit sowie in Digitalisierung gehen. Nach dem Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums hat Deutschland zwar einen guten Gesamtrang von 7, liegt aber im Bereich Adoption von Informations- und Kommunikationstechnologien nur auf Rang 36. Das kann nicht so bleiben; Deutschland sollte seinen Rückstand bei der Digitalisierung so schnell wie möglich aufholen. Dafür sind zeitlich befristete Sonderabschreibungen sinnvoll. Diese sind auch viel zielgenauer und wie die empirische Forschung zeigt auch wirkungsvoller, da nur diejenigen Unternehmen von der Förderung profitieren, die wirklich investieren.

Auf der anderen Seite ist im Gespräch, die Steuern für Unternehmen zu erhöhen, die von den aktuellen Krisen profitieren, also mehr Gewinn machen. Wie sinnvoll ist das?

Es ist sehr schwierig bis vollkommen unmöglich, da eine sinnvolle Abgrenzung zu finden. Letztlich sorgt eine Besteuerung von Unternehmensgewinnen ja ohnehin bereits dafür, dass Gewinner der Krise mehr Steuern zahlen, weil ihr Gewinn steigt und Verlierer der Krise weniger Steuern zahlen, weil ihr Gewinn schrumpft. Eine Besteuerung von „Krisengewinnern“ sollte daher im Rahmen des allgemeinen Steuersystems erfolgen. Sondersteuern für „Krisengewinner“ führen zu ausgesprochen fragwürdigen Abgrenzungen zwischen Unternehmen, die von der Krise profitiert haben und denjenigen, die das nicht getan haben. Dies kann sogar zu dem absurden Effekt führen, dass Unternehmen dafür bestraft werden, dass sie besonders kreativ und effektiv auf die Krisensituation reagiert haben. Das scheint mir keine sinnvolle Diskussion zu sein.

Eine viel spannendere und relevantere Frage ist allerdings, wie wir mit steuerlichen Privilegien für vermögende Personen und Unternehmerfamilien umgehen, die durch Lobbybemühungen im deutschen Steuersystem verankert wurden. Ein gutes Beispiel dafür ist das deutsche Erbschaftsteuerrecht. Wenn Betriebsvermögen vererbt wird, kann unter gewissen Voraussetzungen eine Vollverschonung beantragt werden, sodass überhaupt keine Erbschaftsteuer fällig wird. Laut Erbschaftsteuerrichtlinien gelten aber auch im Privatvermögen gehaltene vermietete Wohnungen ab mindestens 200 Wohneinheiten als Betriebsvermögen. Damit haben reiche Erblasser die Möglichkeit, durch den Erwerb einer ausreichenden Zahl von Mietwohnungen eine Vollverschonung von der Erbschaftsteuer zu erreichen.

Dies ist letztlich aber nur die Spitze des Eisbergs eines Steuersystems, das zahlreiche Privilegien und Schlupflöcher für vermögende Steuerpflichtige bietet. Diese betreffen insbesondere Investitionen in Immobilien, über die ich gemeinsam mit Stefan Bach vom DIW bereits Vorschläge veröffentlicht habe, sowie generell die Besteuerung von Einkünften aus Vermögenszuwächsen. So können etwa – in der Regel reiche – Personen Aktiengeschäfte über Holdinggesellschaften durchführen, so dass 95% der Gewinne aus Aktienspekulationen vollkommen steuerfrei bleiben, solange diese nicht ausgeschüttet werden. Werden Wertzuwächse von Immobilien, Aktienvermögen und entsprechenden Assets nicht realisiert, so können sie abgesehen von der Erbschafteuer steuerfrei auf die nächste Generation übertragen werden.

Die Spritpreise sind mit Beginn des Ukraine-Krieges stark angestiegen. Nun warten die Verbraucher auf eine Preissenkung durch geringere Steuern. Braucht das Land die Einnahmen aber nicht, um die hohen Ausgaben für Corona- und Ukraine-Hilfspakete zu finanzieren?

Politisch ist das natürlich bedeutsam, weil die Spritpreise ein Thema sind, mit dem man die deutsche Bevölkerung so richtig zur Weißglut treiben kann. Daher ist es nachvollziehbar, dass die Politik versucht, genau an der Stelle auch den Diskurs zu bedienen und Spritpreise zu reduzieren. Wenn wir aber an die Energiewende und CO2-Neutralität denken, ist es aus meiner Sicht der falsche Weg, die Spritpreise jetzt flächendeckend oder gar dauerhaft zu senken. Wir sollten eher unsere Energiesteuern komplett umstrukturieren und auf das Ziel Klimaneutralität ausrichten, ohne dabei die soziale Komponente zu vergessen. Es sollte eine Steuerentlastung als pauschale Zahlung für alle entsprechend dem Schweizer Modell einer CO2-Steuer geben. Davon würden die ärmeren Bevölkerungsschichten viel stärker profitieren als die reicheren. Damit könnte man die Problematik sozial abfedern und zugleich langfristig sinnvolle Anreize setzen, um unsere Wirtschaft zukunftsorientiert und weniger abhängig von Energieimporten zu machen.

Welche Steuern sollten derzeit aus Ihrer Sicht für Verbraucher gesenkt werden? Und sollte es Unterschiede geben zwischen z.B. Familien, Alleinerziehenden, Alleinstehenden?

Verbrauchsteuern lassen sich nicht zielgruppenspezifisch senken. Wenn die Umsatzsteuer auf Güter des Grundbedarfs gesenkt wird, profitieren alle davon. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Spielraum auch nicht sehr groß ist, da der ermäßigte Satz der Umsatzsteuer ohnehin bei nur sieben Prozent liegt. Eine Überlegung wäre, diesen vergünstigten Steuersatz auf weitere Produkte auszuweiten – etwa für Pflegeprodukte oder Babynahrung. Die Umsatzsteuer jetzt generell zu senken, braucht es aktuell aber nicht unbedingt. Da erscheinen mir zielgerichtete Maßnahmen sinnvoller. Bei den Energiesteuern wäre – wie gesagt – das Schweizer Modell sinnvoll; also die Steuern nicht unbedingt senken, aber über eine Pauschale die Bevölkerung zu entlasten. Eine Entlastung bei der Abgabenbelastung auf Energiepreise wird es ohnehin durch den Wegfall der EEG-Umlage geben, die in der Vergangenheit vor allem die Haushalte stark belastet hat, während die Industrie und gerade große Unternehmen wie Mercedes Benz durch umfassende Ausnahmen stark privilegiert worden sind.