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Portrait von Prof. Burgard vor zwei Bücherregalen in seinem Büro (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
12.12.2023 aus 
Forschung + Transfer
Von Bertelsmann bis Warentest

Sie heißen Bosch, Volkswagen oder Bertelsmann und besitzen oft ein Millionenvermögen: Über 25.000 Stiftungen gibt es derzeit in Deutschland. Sie betreiben Museen und soziale Einrichtungen, verteilen Schulbücher, schützen Wälder oder fördern wissenschaftliche Projekte. Sie dienen meistens dem Gemeinwohl, wie auch die wohl Bekannteste: die Stiftung Warentest. Aber warum gibt es überhaupt Stiftungen, welchen Nutzen haben Stifter und Gesellschaft, wie ist die Reform des deutschen Stiftungsrechts gelungen? Katharina Vorwerk hat über den Einfluss der Rechtswissenschaft auf die Politik mit dem Jura-Professor Dr. Ulrich Burgard vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Magdeburg gesprochen.

Stiftungen nutzen eine definierte Summe Geld für einen vom Stifter festgelegten Zweck so, dass das Geld möglichst lange reicht. Ist das eine gültige Kurzfassung des Begriffs?

Jein. Erstens werden nicht immer nur Geld oder Finanzinstrumente gestiftet, oft sind es auch Unternehmensbeteiligungen, Krankenhäuser wie die Pfeiffersche Stiftungen in Magdeburg oder Museen wie das Städel in Frankfurt. Zweitens gibt es nicht nur „Ewigkeitsstiftungen“, deren Vermögen zu erhalten ist und die ihren Zweck mit den Nutzungen dieses Vermögens erfüllen, sondern auch Stiftungen, die nur für eine bestimmte Zeit bestehen, innerhalb der ihr Vermögen verbraucht werden muss. Drittens kommt die eigentliche Besonderheit der Stiftung nicht recht zum Ausdruck: Die Stiftung ist nämlich die einzige Rechtsform des Privatrechts, die keine Mitglieder hat. Beim Verein legen die Gründungsmitglieder dessen Zweck fest.

Bei der Stiftung tut das der Stifter. Vereinsmitglieder können den Zweck hinterher jederzeit wieder ändern. Dagegen ist der Stiftungszweck grundsätzlich unabänderlich; denn nach der Gründung wird der Stifter nicht zum Mitglied „seiner“ Stiftung, sondern steht ihr wie ein Dritter gegenüber. Daraus folgt: Während ein Verein oder eine Gesellschaft den aktuellen Willen der Mitglieder vollzieht, erfüllt die Stiftung den historischen Stifterwillen.

Viele der heute noch tätigen Stiftungen sind älter als 500 Jahre, so das Damenstift Quedlinburg oder die Franckeschen Stiftungen in Halle. Hat sich über die Jahrhunderte die Rolle der Stiftungen gewandelt?

Zunächst einmal muss man wissen, dass es nicht nur Stiftungen des Privatrechts, sondern Stiftungen des Kirchenrechts und Stiftungen des öffentlichen Rechts, wie zum Beispiel die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gibt. Früher dominierten klar die Stiftungen des Kirchenrechts, weil viele Stiftungen letztlich dazu dienten, die Zeit zu verkürzen, die ein jeder glaubte, im Fegefeuer verbringen zu müssen. Noch heute gibt es tausende so genannte Pfarrfonds in Deutschland, die ehemals dem Unterhalt von Pfarreien dienten. Auch privatrechtliche Stiftungen hatten häufig einen religiösen Bezug. Die erwähnten Franckeschen Stiftungen dienten zuvörderst der religiösen Bildung ihrer Schüler. Und das Damenstift Quedlinburg war dem Totengedenken an Heinrich I. gewidmet, wenngleich sein praktischer Zweck in der Versorgung unverheirateter adliger Frauen und Witwen bestand. Heutigen Stiftungen fehlt meistens ein religiöser Bezug. „Gutes“ tun wollen dagegen auch heutige Stifter. 95 Prozent aller privatrechtlichen Stiftungen sind gemeinnützig. Insgesamt fördern sie mit geschätzt fünf Milliarden Euro pro Jahr das Gemeinwohl. Genaues ist nicht bekannt, da Stiftungen ihre Zahlen nicht veröffentlichen müssen. Das neue Stiftungsrecht hat daran leider nichts geändert.

Stiftungen in Deutschland sind regional höchst unterschiedlich verteilt: Gibt es in NRW über 4.600, sind es in Sachsen-Anhalt gerade 340 Stiftungen. Warum und mit welchen Folgen?

In den letzten 200 Jahren gab es drei große Stiftungssterben: Das erste infolge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, durch den große kirchliche Territorien aufgelöst wurden. Ihm fiel auch das von Ihnen erwähnte „Kaiserlich freie weltliche Reichsstift Quedlinburg“ zum Opfer. Das zweite durch die große Inflation von 1914 bis 1923. Und das dritte nach 1949 in der DDR, weil das kommunistische System bürgerschaftliches Engagement in Stiftungsform unterdrückte. Von diesem Stiftungssterben haben sich die neuen Bundesländer bis heute nicht erholt. Auch die Zahl der Neugründungen liegt unter dem Niveau der alten Länder, weil Stiften Vermögen voraussetzt und hier in den letzten 30 Jahren natürlich weniger Vermögen aufgebaut werden konnte als dort in den letzten 75 Jahren. Die Folgen sind schwer einzuschätzen, zumal bürgerschaftliches Engagement ja nicht nur von den über 25.000 Stiftungen ausgeht, sondern vor allem auch von mehr als 600.000 Vereinen. Und die Vereinsdichte ist in den neuen Bundesländern eher größer: Gibt es bundesweit rund sieben Vereine pro 1000 Einwohnern, sind es zum Beispiel in Sachsen-Anhalt neun.

Am 1. Juli dieses Jahres trat ein neues Stiftungsrecht in Kraft. Was lief konkret schief, dass eine Reform nötig wurde?

Schief lief eigentlich gar nichts außer der „Reform“ selbst. Sie wurde von Beamten für Beamte geschrieben. Wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen blieben weitgehend unberücksichtigt. Ziel der Neufassung war es insbesondere das Stiftungsrecht zu vereinheitlichen. Dazu muss man wissen, dass das Stiftungsrecht nicht nur in den §§ 80 bis 88 BGB geregelt ist, sondern jedes Bundesland ein eigenes Stiftungsgesetz hat. Grund dafür ist, dass Stiftungen zum Ausgleich ihrer Mitgliederlosigkeit staatlicher Aufsicht unterstehen.

In den Stiftungsgesetzen der Länder waren jedoch nicht nur aufsichtsrechtliche Fragen, sondern auch genuin zivilrechtliche Fragen geregelt. Vereinheitlicht wurde nun lediglich das Stiftungszivilrecht, nicht aber das Stiftungsaufsichtsrecht. Und das neue Stiftungszivilrecht ist an vielen Stellen handwerklich schlecht gemacht. Vieles wird für die Rechtsanwender dadurch komplizierter statt einfacher. Zudem erhebt das Gesetz nicht einmal den Anspruch, ein Reformgesetz zu sein. Tatsächlich enthält es wenig Neues und verbessert kaum etwas.

Welche Folgen wird die Reform für die Gesellschaft, die Stifter und die Empfänger von Stiftungsleistungen haben?

Für die Gesellschaft hat die „Reform“ insofern Folgen, als rational handelnde Stiftungswillige sich vermehrt nach alternativen Rechtsformen im In- und Ausland umschauen werden, die ihren Bedürfnissen besser entsprechen. Stifter, die „ihre“ Stiftung bereits gegründet haben, spüren die „Reform“ dagegen nicht, weil sie ja nach der Gründung mit „ihrer“ Stiftung grundsätzlich nichts mehr zu tun haben. Anders ist das nur, wenn sie sich zum Mitglied in einem Stiftungsorgan, z. B. dem Vorstand, bestellt haben. Dann müssen sie sich mit der „Reform“ wie jedes andere Organmitglied auch auseinandersetzen. Dabei sollte ihnen z. B. auffallen, dass die Sorgfaltsanforderungen gestiegen sind. Für die Empfänger von Stiftungsleistungen – die sog. Destinatäre - ändert sich nichts.

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich, was Stiftungen betrifft?

Schaut man nur auf die Zahl der Stiftungen und die Höhe ihrer Ausschüttungen, steht Deutschland ganz gut da. Schaut man auf das Recht, kann man die Frage praktisch und theoretisch beantworten. Theoretisch lässt das geltende Stiftungsrecht vieles zu wünschen übrig. Praktisch ist es wie sonst auch: Alle Rechtsformen sind „Rechtskleider“. So wenig wir zu jedem Anlass das Gleiche tragen, so wenig passt jedes „Rechtskleid“ zu jedem Bedürfnis. Als erstes muss man also immer ganz genau analysieren, was der Stifter will, und zwar jetzt zu seinen Lebzeiten, nach seinem Tod und nach dem Tod der nächsten und übernächsten Generation. Und dann muss man sich auf die Suche nach dem passenden Rechtskleid bzw. nach einem Rechtskleid machen, was entsprechend den Bedürfnissen des

Stifters angepasst werden kann. So ist Bosch tatsächlich keine Stiftung, sondern eine gemeinnützige GmbH. Nachteile des deutschen Stiftungsrechts aus der Sicht vieler Stifter sind die zwingende – obwohl ineffektive - Stiftungsaufsicht und die mangelnde Satzungsflexibilität nach Errichtung der Stiftung für den Stifter. Letzteres zu ändern, gehört heute zu den wichtigsten Reformanliegen, die leider nicht verwirklicht wurden. Wen das stört, kann in Deutschland entweder eine andere Rechtsform wählen oder ins Ausland abwandern, „bezahlt“ das aber mit jeweils anderen Nachteilen.

Hat die Rechtswissenschaft keinen Einfluss auf Politik und Wirtschaft?

Das kommt darauf an, ob man gefragt wird. Über Einzelgespräche mit Politikern etwas zu verändern, hat in der Regel keine Aussicht auf Erfolg. Das hat vielerlei Gründe. Insbesondere haben Mandatsträger keine Zeit, sich mit irgendeinem Thema näher zu befassen. Und da sie von den meisten Themen keine Ahnung haben, beschließen sie am Ende nur über die Ziele, die ein Gesetz haben soll. Ob und wie das Gesetz diese Ziele erreicht, verschließt sich zumeist ihrer Erkenntnis. Sie vertrauen insofern blind auf die Gesetzesverfasser, also auf die Beamten, die das Gesetz formuliert haben. Dabei sind schon schlimme Fehler passiert, der Schlimmste bei dem so genannten „Verjährungsskandal“, den Ferdinand von Schirach in dem Buch „Der Fall Collini“ literarisch verarbeitet hat.

In der Wirtschaft ist das ähnlich. Tatsächlich ist die Unkenntnis selbst über Rechtsfragen, die für das eigene Unternehmen zentral sind, weit verbreitet. Angesichts der knappen Ressource Zeit und der sich immer weiter beschleunigenden Rechtsentwicklung ist das auch kein Wunder. Dabei ist die neuere Gesetzgebung insbesondere im Bereich der Environmental Social Governance (ESG) geradezu perfide, indem sie Aufgaben der Politik, zum Beispiel im Bereich der Durchsetzung von Menschenrechten im Ausland, kurzerhand auf die Unternehmen verlagert. Gerade im ESG-Bereich fürchten viele Unternehmen, den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen zu können, schon weil ihnen qualifiziertes Personal fehlt.

Wird die Wissenschaft hingegen gefragt, kann der Einfluss groß sein. So habe ich jahrelang das Regelwerk der Berliner Börse mitgestaltet. Und die Fusionsversuche der Deutsche Börse AG mit der New Yorker Börse NYSE 2011 und der Londoner Börse LSE 2016 sind unter anderem aufgrund meiner Gutachten gescheitert. Gerade im ersten Fall hat sich die Stimmung in der Öffentlichkeit und der Politik durch das Gutachten um 180 Grad gedreht, so dass im zweiten Fall gar nicht mehr viel zu tun war.

Sie überwinden mit Ihrer rechtswissenschaftlichen Forschung auch akademische Grenzen, wirken mit Ihren Ideen aus der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein. Zwei Welten oder zwei Seiten einer Medaille?

Wissenschaft sollte sich mitteilen. Ich selbst habe in diesem Sinne ein starkes Mitteilungsbedürfnis, weil ich glaube – ob zu Recht oder zu Unrecht mögen andere beurteilen –, dass ich wirklich etwas zu sagen habe. Deswegen versuche ich immer so zu schreiben, dass, wie es so schön heißt, ein „gebildeter Laie“ den Text verstehen kann und womöglich sogar hin und wieder Vergnügen bei der Lektüre empfindet. Allerdings schreiben Rechtswissenschaftler ja ohnehin in erster Linie für die Praxis - oder sollten das zumindest tun. Wir wollen ja nicht nur von Kollegen, sondern vor allem von Richtern, Rechtsanwälten, Unternehmensjuristen, Behördenmitarbeitern und auch von Laien gelesen und verstanden werden. Das ist in anderen Disziplinen sicher anders. Da braucht es dann oft Wissenschaftsjournalisten als Übersetzer.

 

Herr Prof. Burgard, vielen Dank für das Gespräch!

 

Über Prof. Burgard

Professor Dr. Ulrich Burgard hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Law and Economics an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg inne. Der studierte Jurist ist Direktor des Forschungszentrums für Sparkassenentwicklung, Mitglied des Börsenrats der Börse Berlin sowie im Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung für die Wissenschaft sowie im Beirat des Center for Corporate Compliance an der EBS Law School tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Gebieten des Handels- und Gesellschaftsrechts, einschließlich des Stiftungsrechts, sowie des Bank- und Kapitalmarktrechts. In der Lehre behandelt er überdies das Bürgerliche Recht sowie grundlegende Materien des Wirtschaftsrechts.

Autor:in: Katharina Vorwerk
Quelle: GUERICKE ´23
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