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24.04.2024 aus 
Forschung + Transfer
Neue Therapieansätze für Krebserkrankungen

Professor Andreas Müller leitet seit zehn Jahren die Abteilung „Experimentelle Immundynamik” am Institut für Molekulare und Klinische Immunologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg. Für seine Forschung nutzt er die Intravitalmikroskopie. Im Interview mit Redakteurin Irena Osterland erklärt er, wie diese Technologie funktioniert und wieso sie für die Entwicklung neuer Therapien bei Infektionen und Krebs so entscheidend ist.

Portrait von Prof. Müller, der auf einen Bildschirm schaut (c) _Morawe_UMMDProf. Müller bei der Arbeit (Foto: Christian Morawe / UMMD)

Herr Professor Müller, was versteht man unter Intravitalmikroskopie und wie unterscheidet sie sich von herkömmlichen Mikroskopietechniken?

Intravitalmikroskopie ist eine Methode, mit der man tief in lebendes Gewebe hineinschauen und lebende Zellen beobachten kann. Im Gegensatz zu herkömmlichen Mikroskopie-Methoden, die oft auf fixierten Proben basieren, erlaubt die Intravitalmikroskopie also die Untersuchung von dynamischen biologischen Prozessen in Echtzeit.

Das klingt spannend. Nutzen Sie dafür ein spezielles Mikroskop?

Wir verwenden sogenannte 2-Photonen Mikroskope. Diese Geräte sind nicht vergleichbar mit den handlichen Modellen aus dem Biologieunterricht, die man einfach auf einen Tisch stellen kann: Diese Mikroskope nehmen einen ganzen Raum ein.

Können Sie uns mehr über die Funktionsweise des Mikroskops erzählen?

Die Technik beruht auf einem spannenden physikalischen Effekt. Es geht darum, dass fluoreszierende Farbstoffe im Gewebe durch zwei gleichzeitig auftreffende Lichtteilchen, so genannte Photonen, angeregt werden können. Das 2-Photonen Mikroskop konzentriert die Lichtteilchen an einem einzigen Ort im beobachteten Gewebe, sodass wir nur von dort die Signale vom Farbstoff erhalten, und nicht aus störenden Gewebeschichten unter- und oberhalb. Dies ermöglicht einen detaillierten Einblick in tiefliegendes Gewebe und liefert hochauflösende Bilder von Zellen und ihren Interaktionen.

Das klingt sehr komplex. Sie nutzen diese Technik um herauszufinden, wie die Kommunikation zwischen Immunzellen funktioniert. Wieso ist das wichtig?

Unsere Forschung konzentriert sich darauf, die Dynamik und die Interaktionen von Immunzellen im lebenden Gewebe zu untersuchen. Uns interessiert in diesem Zusammenhang, wie das Immunsystem auf Infektionen und Krankheitserreger reagiert. Indem wir diese Prozesse live beobachten, können wir ein detailliertes Verständnis der Immunantwort gewinnen und dadurch neue Therapieansätze identifizieren bzw. die Wirksamkeit bisheriger Immuntherapien verbessern. Diese Ansatzpunkte könnten dazu dienen, bestimmte Mechanismen zum Beispiel mit Medikamenten entweder zu blockieren oder zu verstärken, je nach Bedarf und Ziel. Solche immuntherapeutischen Ansätze haben in den letzten Jahren die Behandlung von Krebs revolutioniert und bieten vielversprechende Perspektiven für die Zukunft.

Arbeitsbereich von Prof. Müller (c) Benjamin MoraweProf. Müller und sein Team untersuchen die Dynamik und Interaktion von Immunzellen im lebenden Gewebe (Foto: Christian Morawe)

Können Sie uns ein konkretes Beispiel für ein Experiment aus Ihrer Forschung nennen?

In einem unserer Experimente verfolgen wir die Bewegungspfade von T-Zellen, die im Gewebe die Verteidigung gegen Krankheitserreger, aber auch gegen Krebszellen organisieren. Mit diesen Daten können wir Rückschlüsse darauf ziehen, wann und wo die T Zellen aktiviert werden. Da sich die Zellen durch ihr natürliches Umfeld bewegen, ist das für uns der beste Weg, um die gesamte Komplexität und Dynamik des Immunsystems annähernd zu erfassen.

Mit Hilfe der Intravitalmikroskopie konnten Sie bereits einen wichtigen Forschungserfolg erzielen. Worum ging es dabei?

Eine unserer wichtigsten Studien wurde 2021 in dem renommierten Journal „Immunity“ veröffentlicht. Wir haben dafür untersucht, wie Krankheitserreger im Gewebe überleben und wie schnell sie sich vermehren. Ich war davon überzeugt, dass die Intravitalmikroskopie genau die Technik ist, um das zu zeigen. Vor 10 Jahren war das noch eine ganz abwegige Idee, die sich letztendlich aber als wegweisend erwies.

Abschließend würde mich interessieren, wie Sie die Rolle von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen für Ihren Forschungsbereich einschätzen?

Für die Auswertung unserer Experimente benötigen wir quantitative Daten, insbesondere zur Bewegungsanalyse von Zellen. Früher wurde dies manuell durchgeführt. Durch die Nutzung von Programmen können wir bestimmte Parameter festlegen und die KI generiert automatisch Datensätze. Ein weiterer Bereich, in dem KI Potenzial zeigt, ist die Überarbeitung von wissenschaftlichen Texten. Sprachmodelle wie ChatGPT können natürlich keine sinnvollen wissenschaftlichen Texte schreiben, aber haben großes Potential, Formulierungen zu optimieren und grobe Ideen sozusagen „zu testen“. Diese Anwendungen bieten spannende Perspektiven und ich bin gespannt, wie sich dies in Zukunft weiterentwickeln wird.

 

Vielen Dank, Professor Müller, für das Interview!

Autor:in: Irena Osterland